Marianne Sydow
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Marianne Sydow
 
 
   
Unser täglich Schwachsinn
   
 
Vom Umgang mit Bürgern
 
 

 

Es gibt Tage, da denk´ ich, ich wohn´ im Zoo. Meistens sind das Sonntage. Ein friedlicher Tag - bis du einen Blick in die reichlich vorhandenen Informationsmedien tust: Dann hüpft dir der blanke Wahnsinn mitten ins Gesicht. Ich glaube, die Politiker machen das mit Absicht: Genau vor dem Wochenende verkünden sie ein Schrecknis nach dem anderen - so haben die Medien und das Volk Zeit und Gelegenheit, sich übers Wochenende kräftig zu ärgern. (Fördert bei empfindlichen Gemütern mittels Herzinfarkt möglicherweise sogar das schon vor Jahren laut und öffentlich angedachte "sozialverträgliche Ableben" älterer Semester). Am Wochenanfang, wenn klar ist, worauf die Leute am meisten schimpfen, werden die gröbsten Ärgernisse dann in aller Gemütsruhe dementiert oder abgemildert, gelegentlich sogar zurückgenommen. Die Presse, die Medien und die Bevölkerung schöpfen daraus Trost und Hoffnung: ihr Protest hat tatsächlich etwas bewirkt. So denken sie. Aber die große Gefahr lauert in jenen Meldungen, über die wir alle in unserer Wut hinweggesehen haben. Was nämlich nicht zum großen Entrüstungssturm führt, wird einfach ausgeführt - wetten daß? Und es sind gar seltsame Dinge dabei.

Seit Wochen wird in allen Medien berichtet, wie unsicher es geworden ist, an Bankautomaten Geld abzuheben. Mit allen nur denkbaren Mitteln bis zu illegal angebrachten winzigen Videokameras an den Bankautomaten werden selbst die Geheimzahlen der Kunden ausgespäht. Und dann werden die Konten angezapft. Manchmal entdecken Kunden per Zufall schon vorher, was mit ihnen passieren soll. Aber nicht jeder ist ein Sherlock Holmes, wir alle sind mal in Eile, und abends bei mangelnder Beleuchtung ist das alles noch viel schwieriger. Außerdem sollte man meinen, daß es den werten Bankinstituten durchaus zuzumuten wäre, ihre Automaten zu kontrollieren und in Ordnung zu halten. Trotzdem kam am 6.10.04 im ARD-Videotext eine Meldung, derzufolge der Bundesgerichtshof(!!!) entschieden hat, daß der Kunde(!!!!!) für den so entstandenen Schaden aufzukommen hat. Die Begründung klingt wie ein Witz. Die Herren Richter meinen nämlich folgendes: Wenn vom Konto eines Kunden mit Hilfe der gültigen PIN-Zahl Geld abgehoben wird, dann ist das ein Beweis dafür, daß der Kunde seine Sorgfaltspflicht versäumt hat: Er sei eben zu nachlässig mit seiner PIN umgegangen. Tja, Pech dann auch - Geld futsch und fertig. Meine Schlußfolgerung lautet: Sie sind tatsächlich unter uns - diese Richter müssen Außerirdische sein, sie leben irgendwo auf der Rückseite des Mondes. Besser wäre, sie würden auch dort bleiben. Schlußfolgerung Nummer 2: Ich verzichte darauf, Bankautomaten zu benutzen.

Und gleich noch eine Meldung zu diesem Themenkreis:

Nach einem Urteil des Europäische Gerichtshofs haben Bankkunden im Fall der Pleite ihres Instituts keine Ansprüche gegen die staatliche Bankenaufsicht, selbst wenn diese Instanz verspätet oder unzureichend eingeschritten ist. Europaweit verbindlich geschützt sind lediglich Einlagen bis zu 20.000 Euro.

Glücklicherweise habe ich sowieso kein Geld, das ich irgendwo anlegen könnte. Aber wie ist das eigentlich mit Ersparnissen zum Zwecke der Altersvorsorge? Da zahlt einer treu und brav immer feste ein und spart, und plötzlich: oops, hoppla, Pech gehabt, na sowas - das Geld ist weg, nun seh´n Sie mal zu. Zwanzigtausend reichen nicht für Ihren Lebensabend? Tja, ts ts ts, was geht uns denn das an?

Leute, laßt euch nicht verarschen!!!



Im ZDF-Videotext vom 16.8.03 kam die Meldung, daß viele Langzeitarbeitslose in Zukunft im Zuge von Harzt IV
möglicherweise keinerlei Sozialleistungen mehr erhalten werden und dann gezwungen sind, "sich an ihren Angehörigen schadlos zu halten". Nach einem Bericht der "Saarbrücker Zeitung" werden "die Pläne der Koalition für das neue Arbeitslosengeld II weit einschneidendere Konsequenzen als bekannt haben. Ein nicht unerheblicher Teil der Arbeitslosenhilfe-Bezieher könnte künftig völlig aus dem Leistungsbezug herausfallen."

Ein paar Tage später fand ich unter der Überschrift "Bankgeheimnis für Arbeitslose ist praktisch aufgehoben" die Meldung, daß die Banken Freistellungsaufträge, mit denen sich Arbeitslose von der Zahlung von Zinssteuern auf etwa noch vorhandene Ersparnisse befreien lassen können, von den Banken automatisch an das Bundesamt für Finanzen und von dort an die Arbeitsämter weitergemeldet werden. "Wenn ein Arbeitsloser Einkünfte verschweigt oder die Auskünfte nicht komplett sind, kann das Arbeitsamt sämtliche Zahlungen sofort stoppen."

Sehr seltsam finde ich folgende Meldung, ebenfalls aus dem Videotext des ZDF, ebenfalls am 16.8.03, unter der Überschrift: "Datenschützer gegen Steuernummer für Neugeborene": Das Finanzministerium, so heißt es da, hätte Ende Juli bestätigt, "daß die Standesämter künftig Neugeborene an die Finanzverwaltung melden sollen. Auf diese Weise soll ein bundeseinheitliches Identifikationsmerkmal für das Steuerverfahren eingeführt werden."

Laut einem Bericht in BILD vom 12.8.03 plant Steffen Reiche, Bildungsminister (SPD) in Brandenburg, "faule und schlechte" Schüler für die Sommerferien in spezielle Ferien-Camps zu stecken. Zitat Sprecher Martin Gorhold: "Wir planen mehrere Sommer-Camps mit Lernen, Kultur und Freizeit." Insbesondere für "schwierige Jungs und Mädchen, die dadurch Anreize bekommen, wieder mehr zu lernen". Zitat BILD: "Wie die Faule-Schüler-Camps genau ablaufen sollen, will das Bildungsministerium den Schulämtern Anfang 2004 mitteilen." Offenbar soll die Regelung schon in den nächsten Sommerferien in Kraft treten.

In diesem Schuljahr müssen die Eltern (zumindest in Berlin) erstmals die Schulbücher bis 100.- Euro selbst bezahlen. Wenn die Eltern die Bücher nicht kaufen (z.B. weil sie das Geld nicht haben) müssen sie Strafe zahlen (was ihre finanzielle Situation nicht verbessern dürfte - wie sollen sie dann auch noch die Bücher bezahlen?). Bildungssenator Klaus Böger laut BILD vom 15.8.03: "Vielleicht helfen ja Oma und Opa, statt die dritte Tüte Haribo zu kaufen."

Vielleicht sollte der werte Herr ausnahmsweise mal selbst in einen Laden gehen und die Preise vergleichen: Für den Gegenwert einer Tüte Haribos kriegt man kein Schulbuch. Und außerdem haben Oma und Opa im Moment genug damit zu tun, Nullrunden, Praxisgebühren und sonstige Belastungen wegzustecken!

Zum Thema ausländische Schüler erklärt derselbe Herr Böger: "Wir müssen aufhören, Probleme aus Freundlichkeit nicht zu benennen. Diese Kinder müssen in den ersten zwei Jahren Deutsch lernen."

Herr Böger hätte auch einiges zu lernen.
Menschlichkeit - das ist es, was sie alle miteinander an der Garderobe abgeben, sobald sie in die entsprechenden Positionen aufgerückt sind.

Am 19.8.03 kamen (nach 6 Monaten!) die in der Sahara gekidnappten Touristen endlich frei. Diese Leute, die wer weiß was hinter sich hatten, waren noch nicht einmal auf dem Heimweg, da forderten Politiker wie Herr Vollmer von den Grünen, daß die Touristen die Kosten für ihre Befreiung mittragen sollten. Als diese Leute auf dem Heimflug nach einem halben Jahr zum erstenmal wieder eine deutsche Tageszeitung aufschlugen, fiel ihnen so ziemlich als erstes diese Forderung ins Auge - toll! Am Tag danach wurde mir immer rätselhafter, warum Herr Vollmer und Co sich eigentlich diese Blöße gaben - sich lauthals aus dem Fenster zu hängen und nach Kostenbeteiligung zu schreien. Selbiges wäre auch ohne das ganze Geschrei fällig gewesen: Was immer einem Bürger im Ausland auch passiert sein mag - wenn unser Staat an seiner Heimkehr beteiligt ist, darf der Bürger hinterher löhnen, und zwar unabhängig davon, ob das Auswärtige Amt vor Reisen in das betreffende Land gewarnt hat oder nicht. Fazit: Wirst du im Ausland zum Krüppel geschlagen, monatelang irgendwo eingesperrt und anschließend fast umgebracht - verzichte auf alle staatliche Hilfe und fliege lieber privat, denn das kommt dich billiger und du hast zum körperlichen Schaden nicht auch noch die totale Pleite.

Neulich las ich, daß man der Witwe eines Mannes, der mit seinem Auto gegen einen Baum geprallt und dabei gestorben war, eine Rechnung ins Haus schickte - wegen der Beschädigung des Baumes. Wohlgemerkt: ich liebe Bäume, und mir tut alles weh, was man ihnen antut. Aber die Witwe war es nicht, die den Baum gerammt hat, und sie ist ja wohl bereits hart genug bestraft - härter geht´s nicht. Was mir eine Erfahrung bitter aufstoßen läßt, die ich nach dem Tode meines Mannes gemacht habe: Da kam dann so in einigem Abstand noch eine Rechnung für den Einsatz eines Rettungshubschrauber hinterhergeflattert - rund 600.- Euro. Nun gab´s bei meinem Mann nix mehr zu retten: als man ihn fand, war er bereits unwiderruflich tot. Das sagte ich unvorsichtigerweise zu der Dame von der Krankenkasse. Woraufhin sie mir sofort mitteilte, dann sei der Einsatz ja völlig unnötig gewesen, und für unnötige Einsätze könne die Kasse nicht zahlen. Ich nehme an, ich hätte dagegen angehen können. Aber ich hatte gerade meinen Mann verloren, und ich war unter diesen Umständen einem derartigen Kampf nicht gewachsen. Also habe ich selbst bezahlt. Ich nehme an, daß solche und ähnliche Dinge in derselben Situation sehr oft passieren.

Mitleid, Mitgefühl - Pustekuchen! Die Wehrlosen sind willkommene Opfer für die Ehrlosen, und davon gibt es immer mehr - in diesem unserem Lande...

Es macht mich wütend, wie in diesem Land mit Menschen umgegangen wird. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die politische Führungschicht unseres Landes total überfordert ist. Mit "basta" allein kann man Menschen nicht führen, und Machtgeilheit ist kein Ersatz für Autorität. Und weil da keine Autorität mehr ist, verhält sich die ganze Bande wie ein Haufen Schüler, denen ein völlig überforderter und dadurch hilfloser Lehrer gegenübersteht: Sie schnappen einfach über, jeder quatscht daher, was ihm gerade in den Sinn kommt, und sie sind alle miteinander so sehr mit sich selbst und dem Blödsinn beschäftigt, den sie verzapfen, daß sie gar nicht mitkriegen, wie dieses Land vor die Hunde geht. Zu allem Überfluß leiden sie an politischer Bulimie. Sie sind emsig damit beschäftigt, ihren "schlanken" Staat zur Hungerharke kaputtzusparen, und auf der anderen Seite kotzen sie in krampfhaften Brechanfällen Steuergelder in sinnlose Projekte und ohnehin gefüllte Taschen. Und was das Schlimmste daran ist: Es gibt nicht einmal eine Alternative. Soziale Ziele sind den Sozial-Demokraten mittlerweile genauso so schnurz wie den Arbeitgebern, und die CDU steht hilflos vor der Frage, wie sie den Wählern den Unterschied zwischen sich und der SPD erklären soll. Eine Demokratie kann ohne Opposition nicht funktionieren, und die Wahlfreiheit verkommt zu blankem Hohn, wenn keine Auswahl mehr möglich ist, was man wählen kann. Die meisten von uns haben Schröder damals nur deshalb gewählt, weil wir Kohl loswerden wollten. Man hat ihn wiedergewählt, weil die CDU keine Alternative bot, und wenn er die nächste Wahl nicht gewinnt, dann nicht deshalb, weil die CDU was Besseres zu bieten hätte, sondern weil wir diesmal Schröder loswerden wollen.

Das ist keine Demokratie mehr. Es ist nicht mal mehr eine Politokratie. Es geht nicht mehr um das Wohl des Volkes. Es geht nur noch um Macht - und um Leute, die unfähig sind, mit der Macht umzugehen, nach der sie so sehr gieren.


(©) by Marianne Sydow, 12.9.2006

 
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