Als
sie erwachte, waren volle acht Stunden vergangen. Der Saniscan war immer
noch geschlossen.
"Ist es etwas Ernstes?" fragte sie erschrocken.
"Die Tests nehmen noch etwas Zeit in Anspruch", erläuterte
die Maschine beschwichtigend. "Aber jetzt wird es nicht mehr lange
dauern. Wie fühlen Sie sich?"
"Es sticht am Hinterkopf. Hängt das mit deinen Tests zusammen?"
"Nein. Sie hatten elf Fliegenmaden in der Kopfhaut. Ich erneuere
die örtliche Betäubung und sondiere den Heilungsprozeß."
Das Stechen hörte auf.
"Das verstehe ich nicht", sagte Jonna.
"Was verstehen Sie nicht?"
"Wie diese Maden in meine Kopfhaut geraten konnten!"
"Sie waren in der Außenwelt", gab der Saniscan zu bedenken.
"Das ist richtig. Aber ich bin diesmal überhaupt nicht mit Fliegen
in Berührung gekommen!"
"Es wird nur ein einzelnes Tier gewesen sein. Das erklärt auch
die relativ geringe Zahl der Maden."
"Falsch - es erklärt gar nichts. Man spürt es, wenn einem
eine Fliege in den Haaren herumkrabbelt. Ich hätte das merken müssen.
Außerdem habe ich geduscht und mir die Haare gewaschen!"
"Fliegeneier können so etwas schon mal überstehen. Und
Sie hatten es wegen Ihres Bruders sehr eilig. Vielleicht waren Sie nicht
ganz so gründlich, wie Sie es eigentlich hätten sein sollen."
"Ich war anschließend in einem Saniscan!"
Jonnas Fragen schienen der Maschine auf die nichtvorhandenen Nerven zu
gehen.
"Ich würde Ihnen gerne etwas zu Ihrer Unterhaltung anbieten",
sagte der Saniscan. "Etwas aus dem Mikrobereich - etwas ganz Besonderes."
"Einen medizinischen Lehrfilm?"
"So etwas Ähnliches."
Jonna zerbrach sich immer noch den Kopf darüber, wie eine Fliege
sie unbemerkt mit elf Eiern hatte bedenken können, aber sie sah ein,
daß die Maschine diese Frage nicht beantworten konnte.
"Also gut", lenkte sie ein. "Zeig schon her. Aber ich hoffe,
es ist nichts Unappetitliches!"
"Das ist es ganz bestimmt nicht", versicherte der Saniscan.
"Es wird Ihnen gefallen."
Auf dem Bildschirm erschien eine dreidimensional wirkende Darstellung
in rötlichen, bräunlichen und gelblichen Farbtönen. Man
hätte glauben können, daß es sich um eine Landschaft handelte,
aus einiger Höhe aufgenommen, vielleicht von einer fliegenden Kamera,
wie man sie früher für die Erkundung der Außenwelt benutzt
hatte, bis das letzte dieser kostbaren Geräte vom Himmel gefallen
und irgendwo in der Wildnis verschollen war. Aber es war eine überaus
seltsame Landschaft, bestehend aus einem glasigen, durchscheinenden Material,
in dem ständig Bewegung war - ein Pulsieren und Fließen, ein
Wirbeln und Strudeln und Wallen, und überall waren kleine Geschöpfe
unterwegs, schwimmend, gleitend und kriechend.
Am rechten Bildrand waren sie besonders häufig: ein wildes Durcheinander
von weißen Blutkörperchen, Freßzellen und Gewebstrümmern,
ein regelrechtes Schlachtfeld, das allmählich in den Mittelpunkt
des Geschehens zu rücken drohte.
"Nicht dort hinüber!" protestierte Jonna heftig. "Nicht
noch mehr Tod und Zerstörung! Davon habe ich die Nase gestrichen
voll! Ich will etwas Friedliches, verstanden?"
Der Bildausschnitt verlagerte sich nach links und folgte einem amöbenhaften
Geschöpf aus durchscheinendem Protoplasma.
"Das ist eine sogenannte kleine Freßzelle, ein Mikrophage",
erklärte der Saniscan. "Er gehört zu den weißen Blutkörperchen
und ist Bestandteil Ihres Immunsystems."
Jonna hatte schon des öfteren Freßzellen gesehen, in diversen
Lehrfilmen, wie die Saniscans sie für alle medizinischen Wechselfälle
des Lebens bereithielten. Diese Filme waren dazu bestimmt, die Patienten,
wenn es nötig war, über ihren körperlichen Zustand aufzuklären.
Entsprechend straff waren sie konzipiert.
Genau
daran schien es diesmal jedoch zu hapern: Der Mikrophage kroch munter
vor sich hin, traf aber ansonsten keinerlei Anstalten, seiner Arbeit nachzugehen.
Im Gegenteil: Als er auf eine Ansammlung von stäbchenförmigen
Bakterien stieß, umging er sie in weitem Bogen.
Auf Jonna hatte das eine seltsam zwiespältige Wirkung: einerseits
empfand sie die Konzeptionslosigkeit des Geschehens als irritierend und
ärgerlich, andererseits war sie fasziniert von dem, was sie sah.
Die Bilder übten eine eigentümliche Anziehungskraft auf sie
aus.
"Was soll das?" fragte sie zögernd. "Du hast mir etwas
Besonderes versprochen, aber das hier ist der langweiligste Film, den
ich je gesehen habe!"
"Das ist kein Film", erwiderte der Saniscan. "Diese Bilder
werden von einer Sonde in Ihrer Kopfhaut übertragen. Alles, was Sie
auf dem Schirm sehen, geschieht jetzt. Aber
ich habe für Sie leider einen Mikrophagen ausgesucht, der gerade
keinen Appetit hat. Ich werde Ihnen ein anderes Beobachtungsobjekt zeigen."
Und damit ließ er das Bild seitwärts wandern.
"Nein - geh wieder zu dem Mikrophagen zurück!"
Der Saniscan gehorchte sofort.
"Die Bilder sind natürlich computergestützt", erklärte
er - es klang fast ein wenig eitel. "Die Schärfe und der räumliche
Eindruck wären sonst nicht in diesem Maße realisierbar. Aber
die Bilder sind bis in die feinsten Details hinab authentisch."
Jonna hörte ihn kaum.
"Ich habe schon so ziemlich alle meine Organe auf dem Schirm gesehen",
sagte sie fasziniert. "Aber das waren unverkennbar einfach nur Teile
meines Körpers, vergleichbar mit den Einzelteilen einer Maschine.
Und die Blutkörperchen taten, was man von ihnen erwarten konnte -
nicht mehr und nicht weniger. Diese kleine Freßzelle scheint mir
dagegen ein durchaus eigenständiges Leben zu führen!"
"Das ist richtig. Sie muß so beschaffen
sein. Sie könnte sonst ihre Aufgabe nicht erfüllen."
"Das leuchtet mir ein - von der Theorie her. Im Grunde genommen ist
mir schon seit meiner Kindheit klar, daß es in mir zugeht wie in
einem Aquarium. Aber ich beginne erst jetzt zu begreifen, was das in der
Praxis bedeutet!"
Aber noch während sie es aussprach, wußte sie, daß sie
noch weit davon entfernt war, es auch tatsächlich zu verstehen.
"Kein anderer Saniscan hat mir jemals eine Direktübertragung
aus meinem eigenen Körper gezeigt!" bemerkte sie zögernd.
"Warum?"
"Es ist nicht üblich, solche Beobachtungen aus dem Mikrobereich
an die Patienten weiterzugeben", erwiderte die Maschine. "Wir
haben es früher ein paarmal versucht. Wenn wir die Patienten in dem
Glauben ließen, daß sie einen der üblichen Lehrfilme
sahen, verloren sie schnell das Interesse. Sagten wir ihnen aber, daß
es sich um eine Life-Übertragung handelte, wurden ihre Reaktionen
unberechenbar."
Jonna hörte kaum hin.
"Wir hoffen, daß Sie anders reagieren werden", fuhr der
Saniscan fort. "Sie sind eine Protektorin - Sie kennen die Außenwelt
und haben regelmäßig Kontakt zu nichtmenschlichen Lebensformen.
Wir hoffen, anhand Ihrer Reaktionen eine Theorie zur Entstehung des Stadtkollers
überprüfen zu können."
Das war ein Stichwort, das Jonnas Aufmerksamkeit weckte und sie für
den Moment vom Geschehen auf dem Bildschirm ablenkte.
Stadtkoller
war der volkstümliche Name für das Stadtspezifische Psychosomatische
Syndrom, eine höchst mysteriöse Krankheit, die erst seit rund
einem Jahr bekannt war, sich aber in beängstigendem Tempo zu einer
regelrechten Seuche zu entwickeln drohte. Mit drei Fällen in Shangrilah
hatte es begonnen...
(Warum gerade in Shangrilah? fragte sie sich.
Was ist da drüben anders? Ich muß unbedingt
ein paar Statistiken abfragen!)
... und sich dann über die ganze Stadt verbreitet. Inzwischen gab
es bis zu fünfhundert Fälle pro Monat, Tendenz steigend. Die
Saniscans hatten bisher keinen Erreger dingfest machen können, und
es schien nichts zu geben, was die Opfer miteinander gemeinsam hatten
- außer daß sie am Stadtkoller erkrankten und starben.
Nicht nur die Saniscans waren hilflos - auch die Experten vom Psychologischen
Dienst bemühten sich vergeblich, das Phänomen zu erklären.
Sie sprachen von Urerinnerungen, von unterschwelligen klaustrophobischen
Reaktionen und einer im Unterbewußtsein ankernden Abwehrhaltung
gegenüber dem System. Die
einen behaupteten, es sei eine Krankheit des Körpers, die anderen
glaubten, es sei eine Psychose. Von der Lösung des Problems
waren sie alle miteinander offenbar noch weit entfernt.
Der Stadtkoller schien nicht ansteckend zu sein, war aber wohl bis zu
einem gewissen Grade erblich, wobei es fraglich war, was
da vererbt wurde. Tatsache war, daß er in manchen Familien auffallend
häufig zuschlug.
Die Symptome in den frühen Phasen der Erkrankung waren unspezifisch
- das machte die Diagnose so schwierig. Die Kranken waren in dieser Zeit
einfach nur ausgesprochen gut aufgelegt. Manche fühlten sich geradezu
euphorisch und neigten dazu, ihre Kräfte zu überschätzen.
In der zweiten Phase dominierten Nervosität, Ängstlichkeit,
Schlaflosigkeit und Hyperaktivität. Viele Kranke verloren in dieser
Phase jedes Urteilsvermögen. In der Endphase kam es zu schwersten
Angstzuständen, Depressionen, plötzlichen Wutausbrüchen,
Kreislaufversagen und Schock. Am Ende stand der Tod.
Falls die Saniscans jetzt tatsächlich eine Spur zur Lösung des
Rätsels gefunden hatten...
Das wäre eine Sensation ersten Ranges!
dachte Jonna. Warum habe ich noch nichts
davon gehört?
"Was ist das für eine Theorie?" fragte sie.
"Wir haben die ganze Zeit hindurch nach Gemeinsamkeiten in den Krankengeschichten
der Kollerpatienten gesucht", erklärte der Saniscan (aber natürlich
war es in Wirklichkeit das System, das da sprach - es war immer
das System, mit dem man sprach, ganz gleich, welche seiner Einrichtungen
man in Anspruch nahm). "Aber wir konnten nichts finden. Darum sind
wir bei unseren Nachforschungen immer weiter in der Zeit zurückgegangen.
Dabei sind wir auf etwas gestoßen, das sich kurz nach dem Einzug
der Bürger in die Stadt zugetragen hat."
Die kleine Freßzelle gelangte an eine mächtige, unebene Wand,
an der sie emporkroch, wie ein kleiner Krake an einem Riff.
"Alle diese Menschen, die damals zu uns kamen", sagte der Saniscan,
"waren allergisch gegen die Geschöpfe der Außenwelt. Sie
lebten in Schutzanzügen und sterilen Kammern. Aber gerade sie
schienen besonders häufig den Kontakt zu Pflanzen und Tieren zu suchen.
Viele von ihnen hielten sich Haustiere und Zierpflanzen, obwohl sie sich
damit in Gefahr brachten. Bei der Einbürgerung mußten sie sich
natürlich von ihren Lieblingen trennen. Diese Trennung machte ihnen
schwer zu schaffen. Viele wurden depressiv. Andere stürzten sich
in die seltsamsten Aktivitäten, um sich abzulenken. Einige starben
sogar - als hätten sie jeden Mut zum Leben verloren."
Die Freßzelle erklomm einen schmalen Sims aus länglichen Zellen,
hielt kurz inne, als dächte sie darüber nach, welchen Weg sie
nehmen sollte, und wandte sich dann nach rechts.
"Wir hielten das Ganze für ein rein psychologisches Problem",
fuhr der Saniscan fort. "Diese ersten Bürger kamen ja nicht
zu uns, weil sie unbedingt in der Stadt leben wollten,
sondern weil sie außerhalb der Stadt nicht länger leben konnten.
Sie mußten ein für allemal auf ihre Freiheit verzichten, um
zu überleben. Die Tiere und Pflanzen waren Symbole für all das,
was sie aufgeben mußten, und einige von ihnen konnten diesen Verlust
offensichtlich nicht verschmerzen. Mit der Zeit erledigte sich das Problem
von selbst. Die Nachgeborenen kamen glänzend mit den Verhältnissen
in der Stadt zurecht. Das schien unsere Theorie zu bestätigen. Aber
inzwischen sind wir uns dessen nicht mehr so sicher."
Jonna hatte keine Ahnung, worauf das System hinauswollte. Sie schwieg
und wartete ab. Die Freßzelle wanderte immer noch auf dem Sims entlang.
"Früher lebten die Menschen in engem Kontakt mit Tieren und
Pflanzen verschiedenster Art", dozierte der Saniscan. "Sie jagten
sie, sammelten sie, pflegten sie, aßen sie. Aber mit der zunehmenden
Verstädterung und der immer weiter fortschreitenden Technisierung
entfernten die Menschen sich immer weiter von der Natur. Je größer
die Distanz wurde, desto stärker wurde offenbar das Bedürfnis,
die verlorengegangene Nähe durch das Halten von Haustieren und Zierpflanzen
auszugleichen. Das betraf insbesondere die Bewohner der großen Ballungsräume.
Selbst Bettler, die kaum imstande waren, sich selbst am Leben zu erhalten,
fütterten Hunde, Katzen, Tauben, Ratten. Es gibt einwandfrei belegte
Geschichten von Gefangenen, die sogar auf Kakerlaken, Spinnen oder ähnliche
Geschöpfe zurückgriffen. Und es war durchaus nicht nur der Mangel
an Gesellschaft, der sie zu diesem Verhalten trieb: Selbst wenn mehrere
Menschen gemeinsam eingesperrt waren, fanden sich unter ihnen häufig
ein oder zwei, die solche Kontakte über die menschliche Gemeinschaft
hinaus suchten und herstellten. Es scheint fast, als würde der Mensch
diesen Kontakt zu andersartigen Lebensformen brauchen.
Simuliertes Leben im virtuellen Raum ist möglicherweise kein ausreichender
Ersatz."
Jonna schloß für einen Moment die Augen, erschrocken und überrascht.
Die Pflanze auf meiner Terrasse! dachte sie. Dieses
kleine Ding mit den niedlichen lila Blüten!
Wir alle haben sie begossen und gepflegt, jeder, der je auf diese Terrasse
hinausgegangen ist! Wie wahrscheinlich ist es, daß das System nie
etwas davon mitgekriegt hat? Bekomme ich deshalb diese Bilder zu sehen?
Wem hat das System sie noch gezeigt?
"Da könnte was dran sein", stimmte sie vorsichtig zu. "Seit
wann verfolgt ihr diese Spur? Habt ihr schon Ergebnisse?"
Der Saniscan ging nicht auf diese Fragen ein.
"Wir hatten solche Fälle sogar hier in der Stadt", fuhr
er fort. "Vor allem während des Großen Sterbens, als ständig
neue Bürger von draußen hereinkamen. Sie brachten alles mögliche
mit, oft völlig unabsichtlich, und manche Bürger stürzten
sich förmlich auf jede Art von Ungeziefer, hegten und pflegten es
und brachten sich und ihre Nachbarn damit in Gefahr. Mit der Zeit haben
wir dieses Problem in den Griff bekommen. Aber vielleicht war das ein
Fehler. Inzwischen halten wir es für denkbar, daß sich bei
manchen Leuten ein psychisches Defizit aufbaut. Die betreffenden Bürger
selbst wissen das gar nicht, können ihr Problem nicht beim Namen
nennen und merken nicht einmal, daß sie ein Problem haben.
Aber bei einigen scheint sich diese Situation aufzuschaukeln - bis zum
Stadtkoller."
"Ich muß zugeben, daß ich mir ein Leben ohne Kontakt
zur Außenwelt nicht vorstellen kann", gestand Jonna, nachdem
sie über die Ausführungen des Saniscans nachgedacht hatte.
"Das wissen wir", erwiderte die Maschine. "Darum sind Ihre
Reaktionen so interessant für uns. Sehen Sie sich die Bilder aus
dem Innern Ihres Körpers an. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnten
Sie vielleicht über die Gedanken und Gefühle reden, die dieses
Erlebnis bei Ihnen auslöst."
"Wollt ihr den Stadtkoller heilen, indem ihr den Leuten Kontakt zu
ihren eigenen Leukozyten verschafft?" fragte Jonna - der Gedanke
belustigte sie ein wenig.
"Ganz so einfach ist es nicht", wehrte der Saniscan ab. "Wir
haben einige Kollerpatienten mit derartigen Einblicken konfrontiert. Ihr
Zustand hat sich dadurch nicht verändert. Wir haben es auch mit gesunden
Bürgern probiert, mußten diese Versuche aber sehr schnell wieder
abbrechen, weil viele von ihnen regelrecht süchtig nach diesen Bildern
wurden. Sie haben die Saniscans blockiert, Krankheiten vorgetäuscht..."
- Der Saniscan spürte Jonnas heftige Reaktion. "Niemand ist
dabei zu Schaden gekommen!" versicherte er hastig.
Trotzdem fand Jonna es befremdlich, daß das System derartige Experimente
unternommen hatte.
"Habt ihr es mit anderen Außendienstlern versucht?" fragte
sie scharf. "Mit Sikkim, zum Beispiel?"
"Nein. Wir haben keinen Versuch mehr gewagt - mit niemandem. Sie
sind seit Abbruch der Tests die erste. Wir sind uns sehr sicher, daß
gerade Sie keinen Schaden dadurch erleiden werden. Wir rechnen damit,
daß Sie in den nächsten Tagen etwas öfter als üblich
nach draußen gehen werden, aber das wird Ihr gesundheitliches Risiko
nicht erhöhen."
Jonna beobachtete nachdenklich den Leukozyten.
"Wenn eure Theorie stimmt, müßten Außendienstler
gegen den Stadtkoller immun sein", stellte sie fest. "Wie paßt
Sikkim da hinein?"
"Sikkim hat die Stadt nur sehr selten verlassen", gab der Saniscan
zu bedenken. "Und er war nie im eigentlichen Sinne immun. Er wurde
nur deshalb als Anwärter zugelassen, weil es zum betreffenden Zeitpunkt
zu wenig geeignete Kandidaten gab."
Jonna zögerte einen Augenblick.
"Ich weiß, daß die Gentechnik durch die Ereignisse rund
um das Große Sterben in Verruf geraten ist", sagte sie vorsichtig.
"Ihr greift nur im äußersten Notfall und nur bei ganz
bestimmten Defekten darauf zurück. Aber ehe die ganze Stadt zum Teufel
geht - könnte man nicht wenigstens der Immunität genetisch ein
bißchen auf die Sprünge helfen?"
"Das", sagte der Saniscan, "hat man schon in der Alten
Zeit versucht, sogar schon bevor die Stadt erbaut wurde, bei RAR-Patienten,
die sich freiwillig dafür hergaben, weil sie keine andere Chance
mehr für sich sahen. Keiner der Patienten hat diese Manipulationen
überlebt. Ihr Immunsystem brach völlig zusammen."
"Das hört sich an, als hättet ihr auf diesem Gebiet gar
keine weiteren Forschungen mehr angestellt!"
"Das ist richtig."
"Aber diese Sache wäre doch wirklich wichtig! Warum unternehmt
ihr nichts?"
"Weil es zu gefährlich ist."
Punkt und aus: das System war in Sachen RAR und Immunität seit jeher
auffallend schweigsam. Es war schon verwunderlich, daß der Saniscan
sich überhaupt auf dieses Thema eingelassen hatte. Jonna vermutete,
daß die ungewöhnliche Gesprächigkeit des Saniscans etwas
mit der Direktübertragung aus dem Leben des Leukozyten zu tun hatte:
der Saniscan hatte Jonna im Gespräch halten wollen, um ihre Reaktionen
besser einschätzen zu können. Aber offenbar war jetzt ein Punkt
erreicht, an dem er keine weiteren Zugeständnisse mehr machen würde.
Jonna gab es stillschweigend auf.
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