Marianne Sydow
 
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Marianne Sydow 2004-2007
 
Marianne Sydow
 
Ogawas Perlen
 
Science Fiction Roman
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Kapitel 19:
Im Saniscan / 2
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Als sie erwachte, waren volle acht Stunden vergangen. Der Saniscan war immer noch geschlossen.

"Ist es etwas Ernstes?" fragte sie erschrocken.

"Die Tests nehmen noch etwas Zeit in Anspruch", erläuterte die Maschine beschwichtigend. "Aber jetzt wird es nicht mehr lange dauern. Wie fühlen Sie sich?"

"Es sticht am Hinterkopf. Hängt das mit deinen Tests zusammen?"

"Nein. Sie hatten elf Fliegenmaden in der Kopfhaut. Ich erneuere die örtliche Betäubung und sondiere den Heilungsprozeß."

Das Stechen hörte auf.

"Das verstehe ich nicht", sagte Jonna.

"Was verstehen Sie nicht?"

"Wie diese Maden in meine Kopfhaut geraten konnten!"

"Sie waren in der Außenwelt", gab der Saniscan zu bedenken.

"Das ist richtig. Aber ich bin diesmal überhaupt nicht mit Fliegen in Berührung gekommen!"

"Es wird nur ein einzelnes Tier gewesen sein. Das erklärt auch die relativ geringe Zahl der Maden."

"Falsch - es erklärt gar nichts. Man spürt es, wenn einem eine Fliege in den Haaren herumkrabbelt. Ich hätte das merken müssen. Außerdem habe ich geduscht und mir die Haare gewaschen!"

"Fliegeneier können so etwas schon mal überstehen. Und Sie hatten es wegen Ihres Bruders sehr eilig. Vielleicht waren Sie nicht ganz so gründlich, wie Sie es eigentlich hätten sein sollen."

"Ich war anschließend in einem Saniscan!"

Jonnas Fragen schienen der Maschine auf die nichtvorhandenen Nerven zu gehen.

"Ich würde Ihnen gerne etwas zu Ihrer Unterhaltung anbieten", sagte der Saniscan. "Etwas aus dem Mikrobereich - etwas ganz Besonderes."

"Einen medizinischen Lehrfilm?"

"So etwas Ähnliches."

Jonna zerbrach sich immer noch den Kopf darüber, wie eine Fliege sie unbemerkt mit elf Eiern hatte bedenken können, aber sie sah ein, daß die Maschine diese Frage nicht beantworten konnte.

"Also gut", lenkte sie ein. "Zeig schon her. Aber ich hoffe, es ist nichts Unappetitliches!"

"Das ist es ganz bestimmt nicht", versicherte der Saniscan. "Es wird Ihnen gefallen."

Auf dem Bildschirm erschien eine dreidimensional wirkende Darstellung in rötlichen, bräunlichen und gelblichen Farbtönen. Man hätte glauben können, daß es sich um eine Landschaft handelte, aus einiger Höhe aufgenommen, vielleicht von einer fliegenden Kamera, wie man sie früher für die Erkundung der Außenwelt benutzt hatte, bis das letzte dieser kostbaren Geräte vom Himmel gefallen und irgendwo in der Wildnis verschollen war. Aber es war eine überaus seltsame Landschaft, bestehend aus einem glasigen, durchscheinenden Material, in dem ständig Bewegung war - ein Pulsieren und Fließen, ein Wirbeln und Strudeln und Wallen, und überall waren kleine Geschöpfe unterwegs, schwimmend, gleitend und kriechend.

Am rechten Bildrand waren sie besonders häufig: ein wildes Durcheinander von weißen Blutkörperchen, Freßzellen und Gewebstrümmern, ein regelrechtes Schlachtfeld, das allmählich in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken drohte.

"Nicht dort hinüber!" protestierte Jonna heftig. "Nicht noch mehr Tod und Zerstörung! Davon habe ich die Nase gestrichen voll! Ich will etwas Friedliches, verstanden?"

Der Bildausschnitt verlagerte sich nach links und folgte einem amöbenhaften Geschöpf aus durchscheinendem Protoplasma.

"Das ist eine sogenannte kleine Freßzelle, ein Mikrophage", erklärte der Saniscan. "Er gehört zu den weißen Blutkörperchen und ist Bestandteil Ihres Immunsystems."

Jonna hatte schon des öfteren Freßzellen gesehen, in diversen Lehrfilmen, wie die Saniscans sie für alle medizinischen Wechselfälle des Lebens bereithielten. Diese Filme waren dazu bestimmt, die Patienten, wenn es nötig war, über ihren körperlichen Zustand aufzuklären. Entsprechend straff waren sie konzipiert.

Genau daran schien es diesmal jedoch zu hapern: Der Mikrophage kroch munter vor sich hin, traf aber ansonsten keinerlei Anstalten, seiner Arbeit nachzugehen. Im Gegenteil: Als er auf eine Ansammlung von stäbchenförmigen Bakterien stieß, umging er sie in weitem Bogen.

Auf Jonna hatte das eine seltsam zwiespältige Wirkung: einerseits empfand sie die Konzeptionslosigkeit des Geschehens als irritierend und ärgerlich, andererseits war sie fasziniert von dem, was sie sah. Die Bilder übten eine eigentümliche Anziehungskraft auf sie aus.

"Was soll das?" fragte sie zögernd. "Du hast mir etwas Besonderes versprochen, aber das hier ist der langweiligste Film, den ich je gesehen habe!"

"Das ist kein Film", erwiderte der Saniscan. "Diese Bilder werden von einer Sonde in Ihrer Kopfhaut übertragen. Alles, was Sie auf dem Schirm sehen, geschieht jetzt. Aber ich habe für Sie leider einen Mikrophagen ausgesucht, der gerade keinen Appetit hat. Ich werde Ihnen ein anderes Beobachtungsobjekt zeigen."

Und damit ließ er das Bild seitwärts wandern.

"Nein - geh wieder zu dem Mikrophagen zurück!"

Der Saniscan gehorchte sofort.

"Die Bilder sind natürlich computergestützt", erklärte er - es klang fast ein wenig eitel. "Die Schärfe und der räumliche Eindruck wären sonst nicht in diesem Maße realisierbar. Aber die Bilder sind bis in die feinsten Details hinab authentisch."

Jonna hörte ihn kaum.

"Ich habe schon so ziemlich alle meine Organe auf dem Schirm gesehen", sagte sie fasziniert. "Aber das waren unverkennbar einfach nur Teile meines Körpers, vergleichbar mit den Einzelteilen einer Maschine. Und die Blutkörperchen taten, was man von ihnen erwarten konnte - nicht mehr und nicht weniger. Diese kleine Freßzelle scheint mir dagegen ein durchaus eigenständiges Leben zu führen!"

"Das ist richtig. Sie muß so beschaffen sein. Sie könnte sonst ihre Aufgabe nicht erfüllen."

"Das leuchtet mir ein - von der Theorie her. Im Grunde genommen ist mir schon seit meiner Kindheit klar, daß es in mir zugeht wie in einem Aquarium. Aber ich beginne erst jetzt zu begreifen, was das in der Praxis bedeutet!"

Aber noch während sie es aussprach, wußte sie, daß sie noch weit davon entfernt war, es auch tatsächlich zu verstehen.

"Kein anderer Saniscan hat mir jemals eine Direktübertragung aus meinem eigenen Körper gezeigt!" bemerkte sie zögernd. "Warum?"

"Es ist nicht üblich, solche Beobachtungen aus dem Mikrobereich an die Patienten weiterzugeben", erwiderte die Maschine. "Wir haben es früher ein paarmal versucht. Wenn wir die Patienten in dem Glauben ließen, daß sie einen der üblichen Lehrfilme sahen, verloren sie schnell das Interesse. Sagten wir ihnen aber, daß es sich um eine Life-Übertragung handelte, wurden ihre Reaktionen unberechenbar."

Jonna hörte kaum hin.

"Wir hoffen, daß Sie anders reagieren werden", fuhr der Saniscan fort. "Sie sind eine Protektorin - Sie kennen die Außenwelt und haben regelmäßig Kontakt zu nichtmenschlichen Lebensformen. Wir hoffen, anhand Ihrer Reaktionen eine Theorie zur Entstehung des Stadtkollers überprüfen zu können."

Das war ein Stichwort, das Jonnas Aufmerksamkeit weckte und sie für den Moment vom Geschehen auf dem Bildschirm ablenkte.

Stadtkoller war der volkstümliche Name für das Stadtspezifische Psychosomatische Syndrom, eine höchst mysteriöse Krankheit, die erst seit rund einem Jahr bekannt war, sich aber in beängstigendem Tempo zu einer regelrechten Seuche zu entwickeln drohte. Mit drei Fällen in Shangrilah hatte es begonnen...

(Warum gerade in Shangrilah? fragte sie sich. Was ist da drüben anders? Ich muß unbedingt ein paar Statistiken abfragen!)

... und sich dann über die ganze Stadt verbreitet. Inzwischen gab es bis zu fünfhundert Fälle pro Monat, Tendenz steigend. Die Saniscans hatten bisher keinen Erreger dingfest machen können, und es schien nichts zu geben, was die Opfer miteinander gemeinsam hatten - außer daß sie am Stadtkoller erkrankten und starben.

Nicht nur die Saniscans waren hilflos - auch die Experten vom Psychologischen Dienst bemühten sich vergeblich, das Phänomen zu erklären. Sie sprachen von Urerinnerungen, von unterschwelligen klaustrophobischen Reaktionen und einer im Unterbewußtsein ankernden Abwehrhaltung gegenüber dem System. Die einen behaupteten, es sei eine Krankheit des Körpers, die anderen glaubten, es sei eine Psychose. Von der Lösung des Problems waren sie alle miteinander offenbar noch weit entfernt.

Der Stadtkoller schien nicht ansteckend zu sein, war aber wohl bis zu einem gewissen Grade erblich, wobei es fraglich war, was da vererbt wurde. Tatsache war, daß er in manchen Familien auffallend häufig zuschlug.

Die Symptome in den frühen Phasen der Erkrankung waren unspezifisch - das machte die Diagnose so schwierig. Die Kranken waren in dieser Zeit einfach nur ausgesprochen gut aufgelegt. Manche fühlten sich geradezu euphorisch und neigten dazu, ihre Kräfte zu überschätzen. In der zweiten Phase dominierten Nervosität, Ängstlichkeit, Schlaflosigkeit und Hyperaktivität. Viele Kranke verloren in dieser Phase jedes Urteilsvermögen. In der Endphase kam es zu schwersten Angstzuständen, Depressionen, plötzlichen Wutausbrüchen, Kreislaufversagen und Schock. Am Ende stand der Tod.


Falls die Saniscans jetzt tatsächlich eine Spur zur Lösung des Rätsels gefunden hatten...

Das wäre eine Sensation ersten Ranges! dachte Jonna. Warum habe ich noch nichts davon gehört?

"Was ist das für eine Theorie?" fragte sie.

"Wir haben die ganze Zeit hindurch nach Gemeinsamkeiten in den Krankengeschichten der Kollerpatienten gesucht", erklärte der Saniscan (aber natürlich war es in Wirklichkeit das System, das da sprach - es war immer das System, mit dem man sprach, ganz gleich, welche seiner Einrichtungen man in Anspruch nahm). "Aber wir konnten nichts finden. Darum sind wir bei unseren Nachforschungen immer weiter in der Zeit zurückgegangen. Dabei sind wir auf etwas gestoßen, das sich kurz nach dem Einzug der Bürger in die Stadt zugetragen hat."

Die kleine Freßzelle gelangte an eine mächtige, unebene Wand, an der sie emporkroch, wie ein kleiner Krake an einem Riff.

"Alle diese Menschen, die damals zu uns kamen", sagte der Saniscan, "waren allergisch gegen die Geschöpfe der Außenwelt. Sie lebten in Schutzanzügen und sterilen Kammern. Aber gerade sie schienen besonders häufig den Kontakt zu Pflanzen und Tieren zu suchen. Viele von ihnen hielten sich Haustiere und Zierpflanzen, obwohl sie sich damit in Gefahr brachten. Bei der Einbürgerung mußten sie sich natürlich von ihren Lieblingen trennen. Diese Trennung machte ihnen schwer zu schaffen. Viele wurden depressiv. Andere stürzten sich in die seltsamsten Aktivitäten, um sich abzulenken. Einige starben sogar - als hätten sie jeden Mut zum Leben verloren."

Die Freßzelle erklomm einen schmalen Sims aus länglichen Zellen, hielt kurz inne, als dächte sie darüber nach, welchen Weg sie nehmen sollte, und wandte sich dann nach rechts.

"Wir hielten das Ganze für ein rein psychologisches Problem", fuhr der Saniscan fort. "Diese ersten Bürger kamen ja nicht zu uns, weil sie unbedingt in der Stadt leben wollten, sondern weil sie außerhalb der Stadt nicht länger leben konnten. Sie mußten ein für allemal auf ihre Freiheit verzichten, um zu überleben. Die Tiere und Pflanzen waren Symbole für all das, was sie aufgeben mußten, und einige von ihnen konnten diesen Verlust offensichtlich nicht verschmerzen. Mit der Zeit erledigte sich das Problem von selbst. Die Nachgeborenen kamen glänzend mit den Verhältnissen in der Stadt zurecht. Das schien unsere Theorie zu bestätigen. Aber inzwischen sind wir uns dessen nicht mehr so sicher."

Jonna hatte keine Ahnung, worauf das System hinauswollte. Sie schwieg und wartete ab. Die Freßzelle wanderte immer noch auf dem Sims entlang.

"Früher lebten die Menschen in engem Kontakt mit Tieren und Pflanzen verschiedenster Art", dozierte der Saniscan. "Sie jagten sie, sammelten sie, pflegten sie, aßen sie. Aber mit der zunehmenden Verstädterung und der immer weiter fortschreitenden Technisierung entfernten die Menschen sich immer weiter von der Natur. Je größer die Distanz wurde, desto stärker wurde offenbar das Bedürfnis, die verlorengegangene Nähe durch das Halten von Haustieren und Zierpflanzen auszugleichen. Das betraf insbesondere die Bewohner der großen Ballungsräume. Selbst Bettler, die kaum imstande waren, sich selbst am Leben zu erhalten, fütterten Hunde, Katzen, Tauben, Ratten. Es gibt einwandfrei belegte Geschichten von Gefangenen, die sogar auf Kakerlaken, Spinnen oder ähnliche Geschöpfe zurückgriffen. Und es war durchaus nicht nur der Mangel an Gesellschaft, der sie zu diesem Verhalten trieb: Selbst wenn mehrere Menschen gemeinsam eingesperrt waren, fanden sich unter ihnen häufig ein oder zwei, die solche Kontakte über die menschliche Gemeinschaft hinaus suchten und herstellten. Es scheint fast, als würde der Mensch diesen Kontakt zu andersartigen Lebensformen brauchen. Simuliertes Leben im virtuellen Raum ist möglicherweise kein ausreichender Ersatz."

Jonna schloß für einen Moment die Augen, erschrocken und überrascht.

Die Pflanze auf meiner Terrasse!
dachte sie. Dieses kleine Ding mit den niedlichen lila
Blüten! Wir alle haben sie begossen und gepflegt, jeder, der je auf diese Terrasse hinausgegangen ist! Wie wahrscheinlich ist es, daß das System nie etwas davon mitgekriegt hat? Bekomme ich deshalb diese Bilder zu sehen? Wem hat das System sie noch gezeigt?

"Da könnte was dran sein", stimmte sie vorsichtig zu. "Seit wann verfolgt ihr diese Spur? Habt ihr schon Ergebnisse?"

Der Saniscan ging nicht auf diese Fragen ein.

"Wir hatten solche Fälle sogar hier in der Stadt", fuhr er fort. "Vor allem während des Großen Sterbens, als ständig neue Bürger von draußen hereinkamen. Sie brachten alles mögliche mit, oft völlig unabsichtlich, und manche Bürger stürzten sich förmlich auf jede Art von Ungeziefer, hegten und pflegten es und brachten sich und ihre Nachbarn damit in Gefahr. Mit der Zeit haben wir dieses Problem in den Griff bekommen. Aber vielleicht war das ein Fehler. Inzwischen halten wir es für denkbar, daß sich bei manchen Leuten ein psychisches Defizit aufbaut. Die betreffenden Bürger selbst wissen das gar nicht, können ihr Problem nicht beim Namen nennen und merken nicht einmal, daß sie ein Problem haben. Aber bei einigen scheint sich diese Situation aufzuschaukeln - bis zum Stadtkoller."

"Ich muß zugeben, daß ich mir ein Leben ohne Kontakt zur Außenwelt nicht vorstellen kann", gestand Jonna, nachdem sie über die Ausführungen des Saniscans nachgedacht hatte.

"Das wissen wir", erwiderte die Maschine. "Darum sind Ihre Reaktionen so interessant für uns. Sehen Sie sich die Bilder aus dem Innern Ihres Körpers an. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnten Sie vielleicht über die Gedanken und Gefühle reden, die dieses Erlebnis bei Ihnen auslöst."

"Wollt ihr den Stadtkoller heilen, indem ihr den Leuten Kontakt zu ihren eigenen Leukozyten verschafft?" fragte Jonna - der Gedanke belustigte sie ein wenig.

"Ganz so einfach ist es nicht", wehrte der Saniscan ab. "Wir haben einige Kollerpatienten mit derartigen Einblicken konfrontiert. Ihr Zustand hat sich dadurch nicht verändert. Wir haben es auch mit gesunden Bürgern probiert, mußten diese Versuche aber sehr schnell wieder abbrechen, weil viele von ihnen regelrecht süchtig nach diesen Bildern wurden. Sie haben die Saniscans blockiert, Krankheiten vorgetäuscht..." - Der Saniscan spürte Jonnas heftige Reaktion. "Niemand ist dabei zu Schaden gekommen!" versicherte er hastig.

Trotzdem fand Jonna es befremdlich, daß das System derartige Experimente unternommen hatte.

"Habt ihr es mit anderen Außendienstlern versucht?" fragte sie scharf. "Mit Sikkim, zum Beispiel?"

"Nein. Wir haben keinen Versuch mehr gewagt - mit niemandem. Sie sind seit Abbruch der Tests die erste. Wir sind uns sehr sicher, daß gerade Sie keinen Schaden dadurch erleiden werden. Wir rechnen damit, daß Sie in den nächsten Tagen etwas öfter als üblich nach draußen gehen werden, aber das wird Ihr gesundheitliches Risiko nicht erhöhen."

Jonna beobachtete nachdenklich den Leukozyten.

"Wenn eure Theorie stimmt, müßten Außendienstler gegen den Stadtkoller immun sein", stellte sie fest. "Wie paßt Sikkim da hinein?"

"Sikkim hat die Stadt nur sehr selten verlassen", gab der Saniscan zu bedenken. "Und er war nie im eigentlichen Sinne immun. Er wurde nur deshalb als Anwärter zugelassen, weil es zum betreffenden Zeitpunkt zu wenig geeignete Kandidaten gab."

Jonna zögerte einen Augenblick.

"Ich weiß, daß die Gentechnik durch die Ereignisse rund um das Große Sterben in Verruf geraten ist", sagte sie vorsichtig. "Ihr greift nur im äußersten Notfall und nur bei ganz bestimmten Defekten darauf zurück. Aber ehe die ganze Stadt zum Teufel geht - könnte man nicht wenigstens der Immunität genetisch ein bißchen auf die Sprünge helfen?"

"Das", sagte der Saniscan, "hat man schon in der Alten Zeit versucht, sogar schon bevor die Stadt erbaut wurde, bei RAR-Patienten, die sich freiwillig dafür hergaben, weil sie keine andere Chance mehr für sich sahen. Keiner der Patienten hat diese Manipulationen überlebt. Ihr Immunsystem brach völlig zusammen."

"Das hört sich an, als hättet ihr auf diesem Gebiet gar keine weiteren Forschungen mehr angestellt!"

"Das ist richtig."

"Aber diese Sache wäre doch wirklich wichtig! Warum unternehmt ihr nichts?"

"Weil es zu gefährlich ist."

Punkt und aus: das System war in Sachen RAR und Immunität seit jeher auffallend schweigsam. Es war schon verwunderlich, daß der Saniscan sich überhaupt auf dieses Thema eingelassen hatte. Jonna vermutete, daß die ungewöhnliche Gesprächigkeit des Saniscans etwas mit der Direktübertragung aus dem Leben des Leukozyten zu tun hatte: der Saniscan hatte Jonna im Gespräch halten wollen, um ihre Reaktionen besser einschätzen zu können. Aber offenbar war jetzt ein Punkt erreicht, an dem er keine weiteren Zugeständnisse mehr machen würde.

Jonna gab es stillschweigend auf.

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