Marianne Sydow
 
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Marianne Sydow 2004-2007
 
Marianne Sydow
 
Ogawas Perlen
 
Science Fiction Roman
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Kapitel 10:
Der Morgen danach / 1
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Am nächsten Morgen hatte sie einen Sonnenkater: ihr brummte der Schädel, vor ihren Augen flimmerte es, und es fühlte sich an, als würden Würmer hinter ihrer Netzhaut herumkriechen. Sie orderte eine Schmerztablette und eine große Dosis Vitamin A und hoffte, daß es bald vorübergehen würde.

Der Automat lieferte ihr zu den Tabletten ein Glas Wasser.

Jonna blickte auf das Glas, dann hinüber zu der Fensterwand, hinter der die Außenwelt lag.

Wann hat es geregnet? überlegte sie. Als ich diesen verdammten Luftfilter oben in der achten Ebene gewechselt habe, bin ich klatschnaß geworden. Das war vor ... ungefähr zwei Wochen. Und die Pfützen, die ich draußen gesehen habe - die eine ist von dem zugeschütteten Bach. Was ist mit der anderen?

Sie kam zu dem Schluß, daß es ihr völlig egal war: da draußen wartete jemand auf sie, und sie würde ihn (oder sie) nicht enttäuschen.

Irgendwann wird mich jemand dabei erwischen,
dachte sie. Ich werde von Glück sagen können, wenn es nur Cheroux ist. Er wird mir zwar das Leben schwermachen, aber letzten Endes wird er darüber hinwegsehen - hoffe ich!

Sie ging durch die Schleuse nach draußen, das Glas in der einen, die Medikamente in der anderen Hand.

Die Sonne schien. Jonna hielt den Kopf gesenkt, denn der grelle Himmel tat ihren Augen weh. Sie ging bis zur Brüstung und blickte hinab auf das dürre Gras, während sie die Medikamente mit einem Schluck Wasser hinunterspülte. Sie hatte ein schlechtes Gewissen dabei. Das Gras sah aus, als hätte es großen Durst.

Jonna kehrte langsam zur Schleuse zurück. Auf halbem Wege blieb sie stehen, ging in die Hocke und drehte sich dabei so, daß von der Schleuse aus nur ihr Rücken zu sehen war.

Zu ihren Füßen wuchs eine Pflanze, kaum größer als zwei Handflächen und so niedrig, daß sie nicht einmal Jonnas Schuhe überragte. Die Pflanze hatte zwei verschiedene Arten von Blättchen. Die einen sahen wie kleine grüne Nadeln aus. Die anderen waren eher rundlich und silberweiß. Darüber saßen bezaubernde kleine Blüten, lila mit gelber Mitte, frisch und zart. Es war eine Spergularia, ein kleines Nelkengewächs, aber die genaue Art hatte Jonna noch nicht herausbekommen. Wahrscheinlich
war es eine Züchtung oder eine Mutation.

Man sah es dem kleinen Ding nicht an, aber diese Pflanze war uralt. Es schien, als hätte Jonnas Wohnung seit Gründung der Stadt nie leergestanden - immer hatte jemand darin gewohnt. Die, von denen es Urnen gab, hatte Jonna ausfindig gemacht und befragt. Sie alle konnten sich an die Pflanze mit den lila Blüten erinnern, und sie alle waren sich darüber einig, daß sie ein Überbleibsel eines Gartens sei mußte, den vermutlich ein Hüllenwächter in der alten Zeit auf der Terrasse angelegt hatte.

Dieses kleine Pflänzchen hatte sich immer wieder aus sich selbst heraus erneuert und auf diese Weise alles überstanden: das große Sterben, die Ascheregen, rasende Stürme, prasselnde Wolkenbrüche, Hitze und Kälte - nichts hatte die Pflanze töten können. Sie stand in einer winzigen Aussparung zwischen den Bodenplatten, verlor ein wenig an Größe bei Kälte oder Trockenheit, legte dann aber wieder zu und blühte fast das ganze Jahr hindurch. Sie brauchte keine Pflege. Aber gegen ein Tröpfchen Wasser zur richtigen Zeit hatte sie offensichtlich nichts einzuwenden.

Alle hatten sie es getan, die ganze Reihe derer, die von der Wohnung aus auf diese Terrasse hinausgegangen waren - treue Diener der Stadt, alle durch die Bank, viele von ihnen Protektoren. Reihenweise hatten sie gegen das Gesetz verstoßen und immer wieder ein klein wenig Wasser nach draußen geschmuggelt - nur um dieser Pflanze willen.

Auch Jonna tat es: behutsam goß sie den Inhalt des Glases in die Mitte des kleinen grün-silbrigen Polsters, sorgsam darauf bedacht, keine der Blüten zu ersäufen. Als sie aufstand und sich umdrehte, hatte sie das Glas an den Lippen, als hätte sie es gerade eben leergetrunken. Sie kehrte in die Stadt zurück, gut gelaunt, mit einem Lächeln im Gesicht.

Während des Frühstücks sah sie die Meldungen durch, die der Comco für sie gespeichert hatte.

Ogawas Fans hatten inzwischen mitgekriegt, daß die Nachbarschaftshilfe ihnen den Zugriff auf die Perlen nun endgültig und vollständig verweigerte. Das gefiel ihnen verständlicherweise ganz und gar nicht.

Am gestrigen Abend waren sie in Scharen vor die Büros der Comp-Animation und der Nachbarschaftshilfe in Mittelerde gezogen. Vor nahezu alle Büros, wohlgemerkt, in sämtlichen Ebenen. Mit Sprechchören und wütendem Protest hatten sie versucht, die Freigabe der Perlen zu erzwingen - vergebens. Ihre Fragen wurden nicht beantwortet, ihre Argumente nicht beachtet. Vor dem Hauptbüro der Comp-Animation war Carelli schließlich vor die aufgebrachten Bürger hingetreten und hatte ihnen ohne Umschweife mitgeteilt, was sich sowieso bereits herumgesprochen hatte: daß Ogawa nicht mehr unter den Lebenden weilte. Kein Wort der Erklärung oder des Bedauerns, kein Hinweis darauf, was mit den Perlen geschehen sollte - nichts.

Immerhin: fürs erste hatte diese lakonische Mitteilung die Wut der Fans gebrochen. Stumm und bedrückt waren sie auseinandergegangen.

Aber nicht für lange.

Noch in der Nacht hatten sich einige hundert von ihnen vor dem Hauptbüro der Nachbarschaftshilfe in Mittelerde zusammengefunden, um eine Trauerfeier abzuhalten. Und dann hatte irgend jemand die Nerven verloren, Ordnungskräfte der Nachbarschaftshilfe waren angerückt, es hatte eine Schlägerei gegeben.

Myskiallens Leute hatten in aller Eile eine nächtliche Gesprächsrunde zusammengestellt und das Problem damit eher noch verschlimmert, denn nun wurden noch mehr Bürger auf die ganze Sache aufmerksam. Ein Kollege des Perlenspielers sprach von Verschwörung und Einschüchterung und behauptete, Ogawa sei gar nicht tot, die Nachbarschaftshilfe habe ihn nur kaltgestellt. An die dreißigtausend Leute waren daraufhin allein in Mittelerde losmarschiert, um nach Ogawa zu suchen und ihn zu befreien. Sie hatten einiges auf den Kopf gestellt, hätten um ein Haar einen Bio-Tank geöffnet und waren bis in die unterirdischen Produktionsstätten des Systems vorgedrungen. Es hatte einen Toten gegeben und mehrere Verletzte.

Es schien, als hätte Myskiallen recht: Man mußte die Leute tatsächlich erstmal zu der Überzeugung bringen, daß Akira Ogawa wirklich und wahrhaftig nicht mehr am Leben war.

Das System stimmte dieser Schlußfolgerung bereitwillig zu.

"Aber dazu müssen wir Ogawas Fans einen Leichnam präsentieren", stellte Jonna fest. "Die einfachste Möglichkeit wäre folgende: ich bringe Ogawa wieder nach draußen, packe ihn aus, wickle ihn in durchsichtige Folie und bringe ihn wieder rein."

"Nein."

Jonna wußte aus bitterer Erfahrung, daß es so gut wie unmöglich war, das System nach einem so entschiedenen "Nein" umzustimmen. Sie rieb sich die brennenden Augen und dachte nach.

"Wenn wir die echte Leiche nicht verwenden können", sagte sie schließlich, "müssen wir einen Ersatz beschaffen."

Das System sandte einen Impuls der Bestätigung.

Jonna wußte nicht, ob das, was sie tun wollte, je zuvor versucht worden war, und sie hatte große Zweifel daran, daß das System bis zum Ende mitspielen würde.

"Versuchen wir es einfach!" sagte sie trotzdem. "Also los: nimm die Identifikations-Daten aller zur Zeit in Shangrilah verfügbaren Leichen. Vergleiche diese Daten mit denen von Akira Ogawa und ordne sie nach dem Maß der Übereinstimmung. Unterbrich den Abtransport der Toten unterhalb der jeweiligen Begräbnishalle - keiner von ihnen darf in einem Tank versenkt werden, bevor ich die Daten gesehen habe!"

Sie erwartete eine sofortige Reaktion, denn diese Anweisung war ein so schwerer Verstoß gegen die Sicherheitsbestimmungen, daß das System sie unmöglich tolerieren konnte. Leichen gehörten in die Bio-Tanks - so schnell wie möglich. Es gab keine Ausnahmen. Es durfte keine Ausnahmen geben. Das Risiko war viel zu groß.

Aber seltsamerweise erhob das System keine Einwände. Wortlos präsentierte es vier tote Bürger. Bei einem lag der Grad der Übereinstimmung bei über vierzig Prozent und betraf so wichtige Faktoren wie Alter, Körpergröße, Proportionen, Schädelform und Hautfarbe.

"Den hier nehme ich!" teilte Jonna dem System mit. "Die anderen brauche ich nicht."

Das System gab keinen Kommentar und äußerte keine Bedenken. Das war seltsam, aber für den Moment ganz angenehm.

Die Trauerfeier für Ogawas unfreiwilligen Stellvertreter fand in der zweiten Ebene von Shangrilah statt, im westlichen Sektor, direkt über dem Bereich, in dem Ogawa auf Eis lag. Die Zeremonie neigte sich gerade eben ihrem Ende entgegen. Musik erklang, die Klappe öffnete sich, der Tote fiel auf ein Transportband und wurde - den Blicken der trauernden Hinterbliebenen entzogen - in Richtung auf den nächsten Bio-Tank davongeschafft.

Als der Körper an der Rückseite einer Sani-Station vorbeischaukelte, hielt Jonna das Band an und beorderte einen Saniscan an die Abfallklappe. Der Sani beugte sich dem Druck des Scan-Codes und holte den Toten zu sich an Bord. Jonna fälschte ein medizinisches Protokoll, ließ den Leichnam ins Basisgeschoß überführen und löschte den gesamten Vorgang aus dem Gedächtnis des Saniscans.

Und noch immer erhob das System keinen Einspruch. Ungehindert ließ es Jonna den "Ersatzmann" bis zu jener Kühlkammer lotsen, in der der tote Perlenspieler aufbewahrt wurde.

Jonna ließ sich den Inhalt der Kammer zeigen.

Das schwarze Paket trug jetzt ein kleines Pflaster aus heller Folie. Dieses Pflaster kennzeichnete die Stelle, an der ein Saniscan die Gewebeprobe entnommen hatte. Er lieferte Jonna eine Auflistung und Gegenüberstellung von Daten, die einwandfrei belegten, daß es sich bei dem Toten tatsächlich um Akira Ogawa handelte.

Jonna ließ Ogawa ohne weitere Verzögerung im nächsten Bio-Tank verschwinden. Der Ersatzmann trat an die Stelle des toten Perlenspielers, und erneut wurde ein Transport eingeleitet: von der Kühlkammer zurück in den Saniscan, der die Gewebeprobe entnommen hatte.

Der Sani weigerte sich zunächst standhaft, Jonnas Anweisungen zu befolgen, aber der Scan-Code tat auch hier seine Wirkung, und so begann das Gerät gehorsam, erneut "Gewebeproben" zu entnehmen - ziemlich große Proben, allesamt an genau jenen Stellen, an denen die Unterschiede zwischen Ogawa und seinem Stellvertreter allzu auffällig waren. Am Ende sah der Ersatzmann dem toten Perlenspieler tatsächlich zum Verwechseln ähnlich. Nur die am Original deutlich sichtbaren Gäste fehlten.

Jonna ließ den Toten in durchsichtige Folie einschweißen, löschte alle verräterischen Daten - vom System kam auch diesmal kein Wort des Protests - und deponierte statt dessen ein Protokoll, demzufolge sie den Saniscan gezwungen hatte, die alte Folie zu entfernen und den toten Perlenspieler neu zu verpacken. Der Saniscan unterzog sich bereitwillig einer ausgiebigen Säuberung.

Ganz offiziell, ohne die Abschirmung durch den Scan-Code, ließ Jonna den Toten in eine geschlossene Transportkapsel legen. Sie sorgte für eine Eskorte aus sechs Außendienstlern, die allesamt in beeindruckende Seuchen-Schutzanzüge steigen mußten und infolgedessen auf höchst glaubhafte Weise beunruhigt wirkten. Ebenso offen gab Jonna sowohl dieser Eskorte als auch dem System die strikte Anweisung, den Körper sofort im nächstbesten Bio-Tank zu versenken, wenn irgend jemand versuchen sollte, die Plastikhülle zu öffnen, zu durchstechen oder auf andere Weise zu beschädigen (um zum Beispiel eine weitere Gen-Analyse vorzunehmen).

Zu guter Letzt rief sie Myskiallen an und teilte ihm mit, daß die sterblichen Überreste des Perlenspielers in Kürze in Mittelerde eintreffen würden und daß einer offiziellen Rückgabezeremonie nichts mehr im Wege stand.

Myskiallen zeigte sich dankbar und zufrieden.

"Mein Observer sagte mir, daß Sie selbst auch auf Ogawas Perlen ansprechen", sagte Jonna. "Man hat Sie sogar vor einer Schleuse gesehen. Haben Sie Ihre Angst vor der Außenwelt überwunden?"

Myskiallen wurde tatsächlich rot.

"Das ist ein Teufelszeug!" behauptete er. "Ich mußte doch wenigstens mal reinschauen! Wie sollte ich denn sonst beurteilen, was mit den verdammten Dingern geschehen soll? Haben Sie es inzwischen auch mal probiert?"

"Ja."

"Dann wissen Sie ja Bescheid."

"Ich bin vorbelastet", erklärte Jonna reserviert. "Ich bin sehr oft draußen, und ich liebe die Außenwelt. Aber bei Ihnen wundert es mich!"

"Mich auch!" erwiderte Myskiallen nüchtern. "Ich hoffe, Sie denken jetzt nicht, daß ich den armen Ogawa hinausgejagt habe!"

"Niemand hat ihn rausgejagt - er ist freiwillig gegangen. Er hat sich sehr weit von der Stadt entfernt. So weit und so lange hätte ihn kein noch so wütender Bürger vor sich herscheuchen können. Ich weiß nur noch nicht, warum er die Stadt verlassen hat."

Myskiallen bedachte sie mit einem seltsamen Blick.

"Sie werden es sicher noch herausfinden", sagte er und atmete tief durch. "Ich danke Ihnen - wegen der Zeremonie, meine ich. Sie werden es bestimmt nicht bereuen. Es geht ja nicht nur um seine Fans, sondern auch um seine Angehörigen. Die werden sicher froh sein, wenn das alles nicht so schrecklich unpersönlich abläuft!"

"Da bin ich mir nicht so sicher!" erwiderte Jonna nüchtern und schaltete ab.

Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Wie man es auch drehte und wendete: was sie getan hatte, war nichts anderes als ein hundsgemeiner Betrug an allen, die sich zu Ogawas Beisetzung einfinden würden.

Sie schob diesen Gedanken samt den Schuldgefühlen ärgerlich beiseite.

"Nächster Punkt", sagte sie zu ihrem Comco. "Gib mir das Perlendepot von Mittelerde!"

Völlig ungebeten meldete sich das System zu Wort:

"Sie sollten Ogawas Perlen löschen!"

"Dazu ist es noch zu früh", erwiderte Jonna bedächtig.

"Diese Perlen sind gefährlich!"

Jonna fand, daß das System diesen Punkt etwas zu oft betonte.

"Sicher sind sie das", sagte sie, "und früher oder später werde ich sie löschen. Aber zuerst muß ich noch ein paar Dinge über sie herausfinden."

"Zum Beispiel?"

"Wie hat Ogawa sie gemacht?"

"Ich kann keinen Grund dafür erkennen, daß Sie das wissen müssen!"

"Die Entscheidung darüber, was ich wissen muß und was nicht, solltest du besser mir überlassen!"

Das System nahm es zur Kenntnis und schwieg.

Die Perlen lagerten zwar immer noch im Depot, aber sie waren nicht mehr zugänglich, und auch aus dem Unterhaltungsnetz hatte man sie bereits abgezogen. Viele Leute hatten jedoch die Angewohnheit, Perlen in ihren Comcos zu speichern. Normalerweise war auch gar nichts dagegen einzuwenden, aber das System hatte innerhalb der letzten zehn Stunden den Zusammenbruch der Sauerstoffversorgung in Dutzenden von Wohnungen registriert, sowohl in Mittelerde als auch in anderen Pyramiden. Es hatte Sauerstoff in die betreffenden Räume geblasen und - das war reine Routine - den Notdienst alarmiert. Als man der Sache nachging, hatte man in den betreffenden Wohnungen Gruppen von Bürgern vorgefunden, die sich mit geradezu ekstatischer Hingabe Ogawas Perlen zu Gemüte führten. In einem Fall waren es dreiundzwanzig Leute - in einem vier mal vier Meter großen Raum, bei geschlossener Tür.

Jonna erinnerte sich mit Unbehagen an ihre eigene Reaktion, als Cheroux sie auf die Perlen angesprochen hatte: ein Anfall von schlechtem Gewissen, obwohl es keinen Grund dafür gegeben hatte. Es schien, als hätten die Perlen irgend etwas an sich, das ihre Konsumenten zur Heimlichtuerei veranlaßte.

Je länger Jonna darüber nachdachte, desto unheimlicher wurde ihr die ganze Sache.

Wie war das mit den unerklärlichen Schwankungen in der Sauerstoffversorgung in Camelot, denen sie acht Wochen zuvor nachgegangen war? Hatten sich auch damals schon Leute eingeschlossen, um sich in Ogawas Perlen versenken zu können?

"Ich könnte die Perlen aus den Comcos löschen", schlug das System unvermutet vor.

"Ich weiß, daß du das könntest", erwiderte Jonna eisig. "Aber damit würdest du die Lage nur noch verschlimmern. Der Name Ogawa hat mittlerweile einen gewissen Ruf. Die Bürger würden sich sofort an die Sache mit den singenden Würmern erinnern. Es war ein Fehler, derart rabiat gegen die Dinger vorzugehen. Mußtest du die Leute wirklich so grob mit der Nase darauf stoßen, was du alles tun kannst? Wenn du jetzt mit der Brechstange über die Perlen herfällst, werden die Leute auf die Barrikaden gehen. Noch mehr Unruhe können wir uns nicht leisten!"

Das System schwieg.

"Es gibt weniger auffällige Möglichkeiten. Als erstes werden wir dafür sorgen, daß Ogawas Perlen knapp werden. Je schwerer es ist, an sie heranzukommen, desto leichter wird es für dich, sie aus dem Verkehr zu ziehen. Wenn sich erneut Bürger in Gefahr bringen, um die Perlen anzuschauen, kannst du die Dinger löschen und dabei auf die gesundheitlichen Risiken verweisen. Als erstes müssen wir dafür sorgen, daß man die Perlen nicht mehr so einfach von einem Comco zum anderen weiterreichen kann."


Ich werde mit Myskiallen sprechen müssen, dachte sie deprimiert. Er muß dafür sorgen, daß seine Leute ein paar Gerüchte in Umlauf bringen. Himmel, was für ein Schlamassel!

"Laß uns sehen, wie man diese Kunstwerke am schnellsten ruinieren kann ", sagte sie zum System.

Es dauerte nicht allzu lange. Ein paar ganz einfache Filter genügten - von dem Glanz der Perlen blieb nur ein Schatten. Jonna sah sich das Ergebnis an und fand es zum Heulen.

Ich werde es wiedergutmachen! schwor sie dem toten Perlenspieler, den Bürgern und sich selbst. Solange ich sie in meinem Comco habe, sind sie in Sicherheit. Alles weitere wird sich finden.

"Du darfst diese Filter nur einzeln vorschalten - bei jeder Übertragung nimmst du einen dazu!" schärfte sie dem System ein. "Was wir brauchen, ist kein schneller Crash, sondern eine kontinuierliche Verschlechterung. Es muß unbedingt nach einem technischen Problem aussehen, nicht nach Sabotage!"

"Ich glaube nicht, daß das funktionieren wird", bemerkte das System. "Die Bürger werden schnell begreifen, daß es besser ist, die Perlen in ihren Comcos zu hüten, anstatt sie weiterzugeben!"

"Das hoffe ich!" erwiderte Jonna bedrückt. "Denn das wird dazu führen, daß bei den glücklichen Besitzern der Perlen ganz schnell jede Menge Besucher eintrudeln. Das ergibt den nächsten Notfall, und du kannst wieder ein paar von den Dingern einkassieren."

"Dieser Plan könnte funktionieren", gab das System zu, aber wirklich überzeugt schien es nicht zu sein.

Jonna beschloß, dieses Thema abzuhaken.


"Gib mir die Perle Nummer eins", sagte sie zu ihrem Comco. "Aber diesmal ohne Ton. Mal sehen, ob wir der Sache nicht auf die Schliche kommen!"


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