Am nächsten Morgen hatte sie einen Sonnenkater: ihr brummte der Schädel,
vor ihren Augen flimmerte es, und es fühlte sich an, als würden
Würmer hinter ihrer Netzhaut herumkriechen. Sie orderte eine Schmerztablette
und eine große Dosis Vitamin A und hoffte, daß es bald vorübergehen
würde.
Der Automat lieferte ihr zu den Tabletten ein Glas Wasser.
Jonna blickte auf das Glas, dann hinüber zu der Fensterwand, hinter
der die Außenwelt lag.
Wann hat es geregnet? überlegte sie.
Als ich diesen verdammten Luftfilter oben in der
achten Ebene gewechselt habe, bin ich klatschnaß geworden. Das war
vor ... ungefähr zwei Wochen. Und die Pfützen, die ich draußen
gesehen habe - die eine ist von dem zugeschütteten Bach. Was ist
mit der anderen?
Sie kam zu dem Schluß, daß es ihr völlig
egal war: da draußen wartete jemand auf sie, und sie würde
ihn (oder sie) nicht enttäuschen.
Irgendwann wird mich jemand dabei erwischen, dachte sie. Ich
werde von Glück sagen können, wenn es nur Cheroux ist. Er wird
mir zwar das Leben schwermachen, aber letzten Endes wird er darüber
hinwegsehen - hoffe ich!
Sie ging durch die Schleuse nach draußen, das Glas in der einen,
die Medikamente in der anderen Hand.
Die Sonne schien. Jonna hielt den Kopf gesenkt, denn der grelle Himmel
tat ihren Augen weh. Sie ging bis zur Brüstung und blickte hinab
auf das dürre Gras, während sie die Medikamente mit einem Schluck
Wasser hinunterspülte. Sie hatte ein schlechtes Gewissen dabei. Das
Gras sah aus, als hätte es großen Durst.
Jonna kehrte langsam zur Schleuse zurück. Auf halbem Wege blieb sie
stehen, ging in die Hocke und drehte sich dabei so, daß von der
Schleuse aus nur ihr Rücken zu sehen war.
Zu ihren Füßen wuchs eine Pflanze, kaum größer als
zwei Handflächen und so niedrig, daß sie nicht einmal Jonnas
Schuhe überragte. Die Pflanze hatte zwei verschiedene Arten von Blättchen.
Die einen sahen wie kleine grüne Nadeln aus. Die anderen waren eher
rundlich und silberweiß. Darüber saßen bezaubernde kleine
Blüten, lila mit gelber Mitte, frisch und zart. Es war eine Spergularia,
ein kleines Nelkengewächs, aber die genaue Art hatte Jonna noch nicht
herausbekommen. Wahrscheinlich war
es eine Züchtung oder eine Mutation.
Man sah es dem kleinen Ding nicht an, aber diese Pflanze war uralt. Es
schien, als hätte Jonnas Wohnung seit Gründung der Stadt nie
leergestanden - immer hatte jemand darin gewohnt. Die, von denen es Urnen
gab, hatte Jonna ausfindig gemacht und befragt. Sie alle konnten sich
an die Pflanze mit den lila Blüten erinnern, und sie alle waren sich
darüber einig, daß sie ein Überbleibsel eines Gartens
sei mußte, den vermutlich ein Hüllenwächter in der alten
Zeit auf der Terrasse angelegt hatte.
Dieses kleine Pflänzchen hatte sich immer wieder aus sich selbst
heraus erneuert und auf diese Weise alles überstanden: das große
Sterben, die Ascheregen, rasende Stürme, prasselnde Wolkenbrüche,
Hitze und Kälte - nichts hatte die Pflanze töten können.
Sie stand in einer winzigen Aussparung zwischen den Bodenplatten, verlor
ein wenig an Größe bei Kälte oder Trockenheit, legte dann
aber wieder zu und blühte fast das ganze Jahr hindurch. Sie brauchte
keine Pflege. Aber gegen ein Tröpfchen Wasser zur richtigen Zeit
hatte sie offensichtlich nichts einzuwenden.
Alle hatten sie es getan, die ganze Reihe derer, die von der Wohnung aus
auf diese Terrasse hinausgegangen waren - treue Diener der Stadt, alle
durch die Bank, viele von ihnen Protektoren. Reihenweise hatten sie gegen
das Gesetz verstoßen und immer wieder ein klein wenig Wasser nach
draußen geschmuggelt - nur um dieser Pflanze willen.
Auch Jonna tat es: behutsam goß sie den Inhalt des Glases in die
Mitte des kleinen grün-silbrigen Polsters, sorgsam darauf bedacht,
keine der Blüten zu ersäufen. Als sie aufstand und sich umdrehte,
hatte sie das Glas an den Lippen, als hätte sie es gerade eben leergetrunken.
Sie kehrte in die Stadt zurück, gut gelaunt, mit einem Lächeln
im Gesicht.
Während des Frühstücks sah sie die Meldungen durch, die
der Comco für sie gespeichert hatte.
Ogawas Fans hatten inzwischen mitgekriegt, daß die Nachbarschaftshilfe
ihnen den Zugriff auf die Perlen nun endgültig und vollständig
verweigerte. Das gefiel ihnen verständlicherweise ganz und gar nicht.
Am gestrigen Abend waren sie in Scharen vor die Büros der Comp-Animation
und der Nachbarschaftshilfe in Mittelerde gezogen. Vor nahezu alle
Büros, wohlgemerkt, in sämtlichen Ebenen. Mit Sprechchören
und wütendem Protest hatten sie versucht, die Freigabe der Perlen
zu erzwingen - vergebens. Ihre Fragen wurden nicht beantwortet, ihre Argumente
nicht beachtet. Vor dem Hauptbüro der Comp-Animation war Carelli
schließlich vor die aufgebrachten Bürger hingetreten und hatte
ihnen ohne Umschweife mitgeteilt, was sich sowieso bereits herumgesprochen
hatte: daß Ogawa nicht mehr unter den Lebenden weilte. Kein Wort
der Erklärung oder des Bedauerns, kein Hinweis darauf, was mit den
Perlen geschehen sollte - nichts.
Immerhin: fürs erste hatte diese lakonische Mitteilung die Wut der
Fans gebrochen. Stumm und bedrückt waren sie auseinandergegangen.
Aber nicht für lange.
Noch in der Nacht hatten sich einige hundert von ihnen vor dem Hauptbüro
der Nachbarschaftshilfe in Mittelerde zusammengefunden, um eine Trauerfeier
abzuhalten. Und dann hatte irgend jemand die Nerven verloren, Ordnungskräfte
der Nachbarschaftshilfe waren angerückt, es hatte eine Schlägerei
gegeben.
Myskiallens Leute hatten in aller Eile eine nächtliche Gesprächsrunde
zusammengestellt und das Problem damit eher noch verschlimmert, denn nun
wurden noch mehr Bürger auf die ganze
Sache aufmerksam. Ein Kollege des Perlenspielers sprach von Verschwörung
und Einschüchterung und behauptete, Ogawa sei gar nicht tot, die
Nachbarschaftshilfe habe ihn nur kaltgestellt. An die dreißigtausend
Leute waren daraufhin allein in Mittelerde losmarschiert, um nach Ogawa
zu suchen und ihn zu befreien. Sie hatten einiges auf den Kopf gestellt,
hätten um ein Haar einen Bio-Tank geöffnet und waren bis in
die unterirdischen Produktionsstätten des Systems vorgedrungen. Es
hatte einen Toten gegeben und mehrere Verletzte.
Es schien, als hätte Myskiallen recht: Man mußte die Leute
tatsächlich erstmal zu der Überzeugung bringen, daß Akira
Ogawa wirklich und wahrhaftig nicht mehr am Leben war.
Das System stimmte dieser Schlußfolgerung bereitwillig zu.
"Aber dazu müssen wir Ogawas Fans einen Leichnam präsentieren",
stellte Jonna fest. "Die einfachste Möglichkeit wäre folgende:
ich bringe Ogawa wieder nach draußen, packe ihn aus, wickle ihn
in durchsichtige Folie und bringe ihn wieder rein."
"Nein."
Jonna wußte aus bitterer Erfahrung, daß es so gut wie unmöglich
war, das System nach einem so entschiedenen "Nein" umzustimmen.
Sie rieb sich die brennenden Augen und dachte nach.
"Wenn wir die echte Leiche nicht verwenden können", sagte
sie schließlich, "müssen wir einen Ersatz beschaffen."
Das System sandte einen Impuls der Bestätigung.
Jonna wußte nicht, ob das, was sie tun wollte, je zuvor versucht
worden war, und sie hatte große Zweifel daran, daß das System
bis zum Ende mitspielen würde.
"Versuchen wir es einfach!" sagte sie trotzdem. "Also los:
nimm die Identifikations-Daten aller zur Zeit in Shangrilah verfügbaren
Leichen. Vergleiche diese Daten mit denen von Akira Ogawa und ordne sie
nach dem Maß der Übereinstimmung. Unterbrich den Abtransport
der Toten unterhalb der jeweiligen Begräbnishalle - keiner von ihnen
darf in einem Tank versenkt werden, bevor ich die Daten gesehen habe!"
Sie erwartete eine sofortige Reaktion, denn diese Anweisung war ein so
schwerer Verstoß gegen die Sicherheitsbestimmungen, daß das
System sie unmöglich tolerieren konnte. Leichen gehörten in
die Bio-Tanks - so schnell wie möglich. Es gab keine Ausnahmen. Es
durfte keine Ausnahmen geben. Das Risiko
war viel zu groß.
Aber seltsamerweise erhob das System keine Einwände. Wortlos präsentierte
es vier tote Bürger. Bei einem lag der Grad der Übereinstimmung
bei über vierzig Prozent und betraf so wichtige Faktoren wie Alter,
Körpergröße, Proportionen, Schädelform und Hautfarbe.
"Den hier nehme ich!" teilte Jonna dem System mit. "Die
anderen brauche ich nicht."
Das System gab keinen Kommentar und äußerte keine Bedenken.
Das war seltsam, aber für den Moment ganz angenehm.
Die Trauerfeier für Ogawas unfreiwilligen Stellvertreter fand in
der zweiten Ebene von Shangrilah statt, im westlichen Sektor, direkt über
dem Bereich, in dem Ogawa auf Eis lag. Die Zeremonie neigte sich gerade
eben ihrem Ende entgegen. Musik erklang, die Klappe öffnete sich,
der Tote fiel auf ein Transportband und wurde - den Blicken der trauernden
Hinterbliebenen entzogen - in Richtung auf den nächsten Bio-Tank
davongeschafft.
Als der Körper an der Rückseite einer Sani-Station vorbeischaukelte,
hielt Jonna das Band an und beorderte einen Saniscan an die Abfallklappe.
Der Sani beugte sich dem Druck des Scan-Codes und holte den Toten zu sich
an Bord. Jonna fälschte ein medizinisches Protokoll, ließ den
Leichnam ins Basisgeschoß überführen und löschte
den gesamten Vorgang aus dem Gedächtnis des Saniscans.
Und noch immer erhob das System keinen Einspruch. Ungehindert ließ
es Jonna den "Ersatzmann" bis zu jener Kühlkammer lotsen,
in der der tote Perlenspieler aufbewahrt wurde.
Jonna ließ sich den Inhalt der Kammer zeigen.
Das schwarze Paket trug jetzt ein kleines Pflaster aus heller Folie. Dieses
Pflaster kennzeichnete die Stelle, an der ein Saniscan die Gewebeprobe
entnommen hatte. Er lieferte Jonna eine Auflistung und Gegenüberstellung
von Daten, die einwandfrei belegten, daß es sich bei dem Toten tatsächlich
um Akira Ogawa handelte.
Jonna ließ Ogawa ohne weitere Verzögerung im nächsten
Bio-Tank verschwinden. Der Ersatzmann trat an die Stelle des toten Perlenspielers,
und erneut wurde ein Transport eingeleitet: von der Kühlkammer zurück
in den Saniscan, der die Gewebeprobe entnommen hatte.
Der Sani weigerte sich zunächst standhaft, Jonnas Anweisungen zu
befolgen, aber der Scan-Code tat auch hier seine Wirkung, und so begann
das Gerät gehorsam, erneut "Gewebeproben" zu entnehmen
- ziemlich große Proben, allesamt an genau jenen Stellen, an denen
die Unterschiede zwischen Ogawa und seinem Stellvertreter allzu auffällig
waren. Am Ende sah der Ersatzmann dem toten Perlenspieler tatsächlich
zum Verwechseln ähnlich. Nur die am Original deutlich sichtbaren
Gäste fehlten.
Jonna ließ den Toten in durchsichtige Folie einschweißen,
löschte alle verräterischen Daten - vom System kam auch diesmal
kein Wort des Protests - und deponierte statt dessen ein Protokoll, demzufolge
sie den Saniscan gezwungen hatte, die alte Folie zu entfernen und den
toten Perlenspieler neu zu verpacken. Der Saniscan unterzog sich bereitwillig
einer ausgiebigen Säuberung.
Ganz offiziell, ohne die Abschirmung durch den Scan-Code, ließ Jonna
den Toten in eine geschlossene Transportkapsel legen. Sie sorgte für
eine Eskorte aus sechs Außendienstlern, die allesamt in beeindruckende
Seuchen-Schutzanzüge steigen mußten und infolgedessen auf höchst
glaubhafte Weise beunruhigt wirkten. Ebenso offen gab Jonna sowohl dieser
Eskorte als auch dem System die strikte Anweisung, den Körper sofort
im nächstbesten Bio-Tank zu versenken, wenn irgend jemand versuchen
sollte, die Plastikhülle zu öffnen, zu durchstechen oder auf
andere Weise zu beschädigen (um zum Beispiel eine weitere Gen-Analyse
vorzunehmen).
Zu guter Letzt rief sie Myskiallen an und teilte ihm mit, daß die
sterblichen Überreste des Perlenspielers in Kürze in Mittelerde
eintreffen würden und daß einer offiziellen Rückgabezeremonie
nichts mehr im Wege stand.
Myskiallen zeigte sich dankbar und zufrieden.
"Mein Observer sagte mir, daß Sie selbst auch auf Ogawas Perlen
ansprechen", sagte Jonna. "Man hat Sie sogar vor einer Schleuse
gesehen. Haben Sie Ihre Angst vor der Außenwelt überwunden?"
Myskiallen wurde tatsächlich rot.
"Das ist ein Teufelszeug!" behauptete er. "Ich mußte
doch wenigstens mal reinschauen! Wie sollte ich denn sonst beurteilen,
was mit den verdammten Dingern geschehen soll? Haben Sie es inzwischen
auch mal probiert?"
"Ja."
"Dann wissen Sie ja Bescheid."
"Ich bin vorbelastet", erklärte Jonna reserviert. "Ich
bin sehr oft draußen, und ich liebe die Außenwelt. Aber bei
Ihnen wundert es mich!"
"Mich auch!" erwiderte Myskiallen nüchtern. "Ich hoffe,
Sie denken jetzt nicht, daß ich den
armen Ogawa hinausgejagt habe!"
"Niemand hat ihn rausgejagt - er ist freiwillig gegangen. Er hat
sich sehr weit von der Stadt entfernt. So weit und so lange hätte
ihn kein noch so wütender Bürger vor sich herscheuchen können.
Ich weiß nur noch nicht, warum er die
Stadt verlassen hat."
Myskiallen bedachte sie mit einem seltsamen Blick.
"Sie werden es sicher noch herausfinden", sagte er und atmete
tief durch. "Ich danke Ihnen - wegen der Zeremonie, meine ich. Sie
werden es bestimmt nicht bereuen. Es geht ja nicht nur um seine Fans,
sondern auch um seine Angehörigen. Die werden sicher froh sein, wenn
das alles nicht so schrecklich unpersönlich abläuft!"
"Da bin ich mir nicht so sicher!" erwiderte Jonna nüchtern
und schaltete ab.
Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Wie man es auch drehte und wendete:
was sie getan hatte, war nichts anderes als ein hundsgemeiner Betrug an
allen, die sich zu Ogawas Beisetzung einfinden würden.
Sie schob diesen Gedanken samt den Schuldgefühlen ärgerlich
beiseite.
"Nächster Punkt", sagte sie zu ihrem Comco. "Gib mir
das Perlendepot von Mittelerde!"
Völlig ungebeten meldete sich das System zu Wort:
"Sie sollten Ogawas Perlen löschen!"
"Dazu ist es noch zu früh", erwiderte Jonna bedächtig.
"Diese Perlen sind gefährlich!"
Jonna fand, daß das System diesen Punkt etwas zu oft betonte.
"Sicher
sind sie das", sagte sie, "und früher oder später
werde ich sie löschen. Aber zuerst muß
ich noch ein paar Dinge über sie herausfinden."
"Zum Beispiel?"
"Wie hat Ogawa sie gemacht?"
"Ich kann keinen Grund dafür erkennen, daß Sie das wissen
müssen!"
"Die Entscheidung darüber, was ich wissen muß und was
nicht, solltest du besser mir überlassen!"
Das System nahm es zur Kenntnis und schwieg.
Die Perlen lagerten zwar immer noch im Depot, aber sie waren nicht mehr
zugänglich, und auch aus dem Unterhaltungsnetz hatte man sie bereits
abgezogen. Viele Leute hatten jedoch die Angewohnheit, Perlen in ihren
Comcos zu speichern. Normalerweise war auch gar nichts dagegen einzuwenden,
aber das System hatte innerhalb der letzten zehn Stunden den Zusammenbruch
der Sauerstoffversorgung in Dutzenden von Wohnungen registriert, sowohl
in Mittelerde als auch in anderen Pyramiden. Es hatte Sauerstoff in die
betreffenden Räume geblasen und - das war reine Routine - den Notdienst
alarmiert. Als man der Sache nachging, hatte man in den betreffenden Wohnungen
Gruppen von Bürgern vorgefunden, die sich mit geradezu ekstatischer
Hingabe Ogawas Perlen zu Gemüte führten. In einem Fall waren
es dreiundzwanzig Leute - in einem vier mal vier Meter großen Raum,
bei geschlossener Tür.
Jonna erinnerte sich mit Unbehagen an ihre eigene Reaktion, als Cheroux
sie auf die Perlen angesprochen hatte: ein Anfall von schlechtem Gewissen,
obwohl es keinen Grund dafür gegeben hatte. Es schien, als hätten
die Perlen irgend etwas an sich, das ihre Konsumenten zur Heimlichtuerei
veranlaßte.
Je länger Jonna darüber nachdachte, desto unheimlicher wurde
ihr die ganze Sache.
Wie war das mit den unerklärlichen Schwankungen in der Sauerstoffversorgung
in Camelot, denen sie acht Wochen zuvor nachgegangen war? Hatten sich
auch damals schon Leute eingeschlossen, um sich in Ogawas Perlen versenken
zu können?
"Ich könnte die Perlen aus den Comcos löschen", schlug
das System unvermutet vor.
"Ich weiß, daß du das könntest", erwiderte
Jonna eisig. "Aber damit würdest du die Lage nur noch verschlimmern.
Der Name Ogawa hat mittlerweile einen gewissen Ruf. Die Bürger würden
sich sofort an die Sache mit den singenden Würmern erinnern. Es war
ein Fehler, derart rabiat gegen die Dinger vorzugehen. Mußtest du
die Leute wirklich so grob mit der Nase darauf stoßen, was
du alles tun kannst? Wenn du jetzt mit der Brechstange über die Perlen
herfällst, werden die Leute auf die Barrikaden gehen. Noch mehr Unruhe
können wir uns nicht leisten!"
Das System schwieg.
"Es gibt weniger auffällige Möglichkeiten. Als erstes werden
wir dafür sorgen, daß Ogawas Perlen knapp werden. Je schwerer
es ist, an sie heranzukommen, desto leichter wird es für dich, sie
aus dem Verkehr zu ziehen. Wenn sich erneut Bürger in Gefahr bringen,
um die Perlen anzuschauen, kannst du die Dinger löschen und dabei
auf die gesundheitlichen Risiken verweisen. Als erstes müssen wir
dafür sorgen, daß man die Perlen nicht mehr so einfach von
einem Comco zum anderen weiterreichen kann."
Ich werde mit Myskiallen sprechen müssen,
dachte sie deprimiert. Er muß dafür sorgen,
daß seine Leute ein paar Gerüchte in Umlauf bringen.
Himmel, was für ein Schlamassel!
"Laß uns sehen, wie man diese Kunstwerke am schnellsten ruinieren
kann ", sagte sie zum System.
Es dauerte nicht allzu lange. Ein paar ganz einfache Filter genügten
- von dem Glanz der Perlen blieb nur ein Schatten. Jonna sah sich das
Ergebnis an und fand es zum Heulen.
Ich werde es wiedergutmachen! schwor sie
dem toten Perlenspieler, den Bürgern und sich selbst. Solange
ich sie in meinem Comco habe, sind sie in Sicherheit. Alles weitere wird
sich finden.
"Du darfst diese Filter nur einzeln vorschalten - bei jeder Übertragung
nimmst du einen dazu!" schärfte sie dem System ein. "Was
wir brauchen, ist kein schneller Crash, sondern eine kontinuierliche Verschlechterung.
Es muß unbedingt nach einem technischen Problem aussehen, nicht
nach Sabotage!"
"Ich glaube nicht, daß das funktionieren wird", bemerkte
das System. "Die Bürger werden schnell begreifen, daß
es besser ist, die Perlen in ihren Comcos zu hüten, anstatt sie weiterzugeben!"
"Das hoffe ich!" erwiderte Jonna bedrückt. "Denn das
wird dazu führen, daß bei den glücklichen Besitzern der
Perlen ganz schnell jede Menge Besucher eintrudeln. Das ergibt den nächsten
Notfall, und du kannst wieder ein paar von den Dingern einkassieren."
"Dieser Plan könnte funktionieren", gab das System zu,
aber wirklich überzeugt schien es nicht zu sein.
Jonna beschloß, dieses Thema abzuhaken.
"Gib mir die Perle Nummer eins", sagte sie zu ihrem Comco. "Aber
diesmal ohne Ton. Mal sehen, ob wir der Sache nicht auf die Schliche kommen!"
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