Ich weiß noch genau, wie alles anfing. Wir hatten eine Grillparty.
Es war in unserer Straße üblich, daß sich so etwas ganz
spontan ergab, sobald jemand unvorsichtig genug war, seinen Grill anzuheizen.
Denn eigentlich reicht die Kohle ja doch immer für weitaus mehr als
nur für die eigenen paar Würstchen, und es ist doch glatte Verschwendung,
sie ungenutzt verglühen zu lassen.
Sobald es also von irgendwoher nach Grillanzünder roch, trafen binnen
weniger Minuten ein paar Nachbarn ein. Sie brachten alles mit, was sie
brauchten. Am Gastgeber blieben eigentlich nur die Kosten für die
Holzkohle hängen - und die Unordnung, die es am nächsten Tag
zu beseitigen galt.
An jenem Abend hatte es mich erwischt. Ich war einfach zu leichtsinnig
gewesen. Und es war Freitag. Jetzt tummelten sich an die zwanzig Leute
im Garten, und ich ärgerte mich ein bißchen, denn ich hatte
mir eigentlich vorgenommen, ausnahmsweise mal früh ins Bett zu gehen.
Die Stimmung war schon ziemlich prächtig gediehen, als Terry sich
endlich blicken ließ.
Terry wohnte gegenüber, bei Herrn Krobb, dem Schuldirektor des Dorfes.
Herr Krobb hatte dreißig herrliche Forellen gestiftet, die er an
diesem Tag geangelt hatte (verrmutlich in einem Zuchtteich). Eigentlich
hätten die Fische in der Tiefkühltruhe landensollen, aber der
gute Mann hatte offenbar seinen spendablen Tag, und darum lagen sie nun
auf dem Grill und verströmten beim Brutzeln einen überaus appetitlichen
Geruch.
Wahrscheinlich war es dieser verlockende Duft, dem Terry einfach nicht
hatte widerstehen können. Er hielt sich sonst von solchen Grill-Partys
gewissenhaft fern - nicht weil er ungern gefeiert hätte, sondern
weil er dermaßen abgebrannt war, daß er meistens nicht mal
sein eigenes Essen mitbringen konnte. Gleichzeitig war er aber zu stolz,
um sich von uns einladen zu lassen. Terry machte in Lyrik und steuerte
damit zielsicher dem Hungertod entgegen. Es gab zwischen uns oft hitzige
Diskussionen, weil ich mit dem, was er als "Schund" bezeichnete,
immerhin über die Runden kam - eine Tatsache, die er (als ernsthafter
Literat) als ausgesprochen ungerecht empfand.
Terry verzehrte (nach einigem Zureden) mit großartigem Appetit zwei
der Fische und ließ sich sogar dazu überreden, ein Glas Wein
zu trinken. Aber er war schweigsam und in sich gekehrt. Wahrscheinlich
hatte er eine depressive Phase - scheint bei Lyrikern so eine Art Berufskrankheit
zu sein. Nach dem Essen hielt er sich abseits und starrte gedankenverloren
in den Himmel hinauf.
Die Sterne strahlten an diesem Abend besonders hell. Als ich ebenfalls
nach oben blickte, entdeckte ich einen Satelliten, der als leuchtender
Punkt über den Himmel wanderte, ein gutes Stück unter der Gemma
vorbei und dann durch den Bootes hindurch. Und als ich wieder zu Terry
hinübersah, lag er regungslos auf dem Rasen.
Zuerst dachte ich, der arme Kerl sei so fix und fertig, daß schon
ein einziges Glas Wein gereicht hatte, um ihn aus den Latschen zu hauen.
Aber dann ging mir auf, daß Terry irgendwie komisch aussah - ich
kann´s nicht anders beschreiben.
Von den anderen hatte noch keiner was bemerkt (sie achteten nie sehr viel
auf Terry), und ich legte auch gar keinen Wert darauf, die ganze Bande
in Aufruhr zu versetzen. Ich stand ganz unauffällig auf und ging
zu ihm.
Er kam gerade wieder zu sich. Er schlug die Augen auf und sah mich an,
auf eine ganz merkwürdige Weise - ehrlich, mir lief eine Gänsehaut
den Rücken runter!
"Bist du krank?" fragte ich. "Fehlt dir was?"
Terry schüttelte den Kopf, stand mit irgendwie eckigen Bewegungen
auf und ging davon. Ich hörte, wie drüben bei Krobbs die Haustür
ins Schloß fiel.
Irgendwie hatte ich ein komisches Gefühl bei der ganzen Sache. Mir
wäre es lieber gewesen, wenn Terry mit mir gesprochen hätte.
Reden hilft manchmal, wenn man Probleme hat, und er hatte offensichtlich
eine ganze Menge davon.
Gegen Mitternacht löste die Party sich endlich auf. Als ich alleine
war, setzte ich mich hin, rauchte in Ruhe eine letzte Zigarette, trank
einen Schluck Wein und betrachtete die Sterne.
Der Satellit kam schon wieder in Sicht (ich hätte schwören können,
daß es derselbe war), und wieder wanderte er unter der Gemma vorbei
in den Bootes hinein. Das irritierte mich ein bißchen. Das Ding
mußte mit einem Affenzahn um die Erde herumzischen, und das immer
auf derselben Bahn! Aber vielleicht irrte ich mich, und die beiden wandernden
Lichtpunkte hatten gar nichts miteinander zu tun.
Am nächsten Morgen machte ich mich schlechtgelaunt ans Aufräumen.
Ich war gerade damit fertig, als Terry auftauchte. Er wirkte wieder halbwegs
normal.
"Was macht die Kunst?" fragte ich ihn (normalerweise der Einstieg
in einen mehr oder weniger erbaulichen Vortrag seinerseits), aber entgegen
unseren sonstigen Gewohnheiten ging er nicht darauf ein. Statt dessen
hockte er schweigend herum, bis mir schließlich der Kragen platzte.
"Was ist los?" fragte ich ärgerlich.
Er fuhr zusammen wie ein schreckhafter Affe. Dann druckste er eine Weile
herum, und schließlich rückte er raus mit dem, was ihn bedrückte:
"Du glaubst doch wirklich daran, daß es Leben auf fremden Sternen
gibt, nicht wahr?"
"Auf den Sternen sicher nicht", erwiderte ich sarkastisch. "Aber
auf den dazugehörigen Planeten."
"Du weißt genau, wie ich es meine. Also - glaubst du daran?"
Ich nickte - sehr vorsichtig, denn ich hatte keine Lust, mich von ihm
auf etwas festnageln zu lassen. Diskussionen mit Terry arteten meistens
in frustrierend witzlose Debatten aus.
"Und was ist mit den UFOs?"
"Schwer zu sagen", wich ich aus.
Terry wechselte plötzlich das Thema.
"Was meinst du", sagte er, "könnte ich auch sowas
schreiben?"
"Bist du endlich vernünftig geworden?"
Er zuckte verlegen die Achseln.
"Es ist vorläufig nur so eine Idee", erklärte er.
"Paß auf, ich stelle mir das so vor..."
"Schon gut", unterbrach ich ihn. "Schreib´s auf!"
Terry war ein bißchen beleidigt, aber ich blieb hart. Ich hatte
genug mit meinen eigenen ungeschriebenen Geschichten zu tun - ich wollte
mir nicht auch noch Terrys Ideen aufhalsen lassen. War die Story erstmal
auf dem Papier, war ich gerne bereit, sie zu lesen. Das sagte ich Terry
auch. Er nahm noch ein paar Anläufe, aber dann gab er es schließlich
auf.
Ein paar Minuten später hörte ich seine Schreibmaschine klappern.
Der Bursche legte ein wahrhaft haarsträubendes Tempo vor. Wenn er
so weitermachte, konnte es nicht lange dauern, bis ich seine Geschichte
zu Gesicht bekam. Und tatsächlich - wenige Tage später brachte
er mir ein Manuskript.
Die Idee war nicht besonders originell: Ein Raumschiff umkreiste die Erde,
und in diesem Raumschiff saßen Außerirdische, die die Erde
beobachteten und eine Invasion vorbereiteten. Immerhin hatte Terry das
Ganze recht geschickt verpackt. Er hatte sogar (was er sonst für
ein besonders abscheuliches Merkmal trivialer Schundliteratur hielt) eine
Parallelhandlung eingebaut. Bei der wurde es dann allerdings peinlich.
Terry hatte es nämlich tatsächlich fertiggebracht, sich selbst
darzustellen, samt den Ereignissen, die letztlich zu eben diesem Manuskript
geführt hatten.
In der Geschichte bekam er in demselben Augenblick, in dem er den Satelliten
sah, telepathischen Kontakt zu den Invasoren (er drückte sich an
dieser Stelle etwas ungeschickt aus, weil er die SF-spezifischen Ausdrücke
nicht kannte). Er durchschaute die Pläne der Fremden, woraufhin er
natürlich darüber nachzudenken begann, wie er die Menschheit
warnen könnte. Dabei kam er - völlig zu Recht - zu dem Schluß,
daß niemand auf ihn hören würde. Und so beschloß
er, alles in Romanform aufzuschreiben (womit er natürlich genauso
wenig bewirken würde, aber das mußte ich ihm ja nicht unbedingt
unter die Nase reiben - zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt). Er - beziehungsweise
die Figur, die ihn in der Geschichte darstellte - schrieb den Roman und
kriegte prompt Schwierigkeiten mit den Fremden, die zuerst das Manuskript
und dann Terry selbst zu beseitigen versuchten. Das Ende war recht stark:
Da kam Terry durch einen von den Fremden herabgesandten Blitz um. Niemand
hatte ihm geglaubt. Die Frage, was die Außerirdischen mit der Erde
anstellen würden, blieb offen.
"Gar nicht übel", sagte ich. "Ein paar Fachausdrücke
sind schlecht gewählt - die SF hat da so ihre eigene Terminologie,
weißt du? Aber wenn du willst, bringe ich das für dich in Ordnung.
Dauert nicht lange."
Er warf mir einen merkwürdigen Blick zu, willigte aber - wenn auch
zögernd - ein.
Am nächsten Tag schickte er das Manuskript weg. Einen Tag später
brach im Hauptpostamt der Stadt, in der sich der Verlag befand, ein Feuer
aus. Fast gleichzeitig schmorte bei Terry eine Leitung durch (zum Glück
war Herr Krobb zu Hause - Terry war viel zu unbeholfen, um mit solchen
Überraschungen fertig zu werden). Es passierte nicht viel, aber die
Durchschläge zu dem Manuskript waren nur noch ein Häufchen Asche.
Mir kam das alles immerhin merkwürdig genug vor, um mich beim Verlag
nach Terrys Geschichte zu erkundigen. Das Manuskript war unversehrt ans
Ziel gelangt - ich atmete auf.
Am Abend zogen Regenwolken auf, und dann peitschte plötzlich genau
über uns ein Blitz herunter. Nur einer! Und es waren wirklich keine
Gewitterwolken! Der Himmel war eintönig grau und verhieß einen
tagelangen Dauerregen, der mit Blitz und Donner nichts zu tun hatte.
Irgend etwas stimmte nicht. Ich gab einer dunklen Ahnung nach und lief
hinaus in den Regen, und da lag Terry, mitten auf der Straße, und
zwei Meter von ihm entfernt war der Beton kohlschwarz, wie verbrannt.
Ich schleifte Terry ins Haus (was eine elende Schufterei war. Im Film
sieht das immer so leicht aus, aber glauben Sie mir: ein bewußtloser
Mensch ist viel schwerer, als er seinem Gewicht nach sein dürfte)
und rief den Arzt. Der war alles andere als begeistert, denn eigentlich
mußte er zu einer Entbindung, und der bewußtlose Terry erweckte
bei ihm weniger Sorge als Mißtrauen. Wahrscheinlich glaubte er,
der arme Kerl hätte sich bis zum Umfallen bekifft. Er gab Terry eine
Spritze und mir ein paar Anweisungen und machte sich wieder auf die Socken.
Es war ein bißchen unheimlich, neben Terry zu sitzen und darauf
zu warten, daß er die Augen aufschlug. Der Schreck steckte mir noch
in den Gliedern. Und als Terry endlich zu sich kam, hatte er schon wieder
diesen merkwürdigen Blick.
"Ich muß weg von hier!" murmelte er - es klang, als wollte
er sich selbst einen Befehl erteilen. Er schwang die Beine vom Sofa. Seine
Bewegungen sahen aus wie die eines Roboters.
Ich dachte an den Arzt und riß mich zusammen.
"Moment", sagte ich und drückte ihn auf das Kissen zurück.
"Du bleibst liegen. Befehl vom Doktor."
"Der Doktor kann mich mal am Arsch lecken!" schrie er - ich
war verblüfft, daß er als Lyriker einen solchen Satz über
die Lippen brachte. "Begreifst du denn immer noch nicht, was hier
los ist? Die wollen mich umbringen!"
Zugegeben - einiges an den Ereignissen dieses Tages war ziemlich merkwürdig
(und das war noch gelinde ausgedrückt), aber das ging mir denn doch
ein bißchen zu weit. Offensichtlich bildete Terry sich ein, daß
die Außerirdischen tatsächlich hinter ihm her waren. Leute,
die ihre eigene Phantasie nicht vertragen, sollten besser die Finger davon
lassen.
"Jetzt hör mir mal zu", begann ich.
Aber er ließ mich nicht zu Wort kommen.
"In der Nacht", sagte er, "als ich bei der Grillparty war,
hat genau das stattgefunden,was ich aufgeschrieben habe. Ich sah einen
Satelliten, und auf einmal war ich nicht mehr ich, sondern ein wildfremdes
Wesen, und ich saß in diesem Raumschiff und beobachtete die Erde.
Du hast die Geschichte doch gelesen - es ist alles wahr!"
Vielleicht hatte der Doktor recht - vielleicht hatte Terry sich wirklich
bekifft, und zwar nicht nur heute. Möglicherweise war er schon high
gewesen, als er auf der Party erschien. Immerhin hatte er so seltsam abwesend
gewirkt.
Wie auch immer: Es hatte offensichtlich wenig Sinn, ihm das Ganze ausreden
zu wollen. Aber vielleicht war ihm mit Logik beizukommen.
"Ich glaube dir ja", lenkte ich ein. "Meinetwegen umkreisen
die Fremden wirklich die Erde - wäre ja durchaus möglich. Aber
das heißt doch noch lange nicht, daß sie dich umbringen wollen
oder können! Du hast dir alles andere doch nur ausgedacht, die Verfolgung
und so weiter. Und davon können die Fremden schließlich nichts
wissen - es sei denn, sie hätten dein Manuskript gelesen, und das
glaube ich nun wirklich nicht!"
Aber bei Terry kam ich mit meiner Logik nicht an. Er preßte die
Fäuste auf die Schläfen und stöhnte: "Du lügst.
Du glaubst mir kein Wort. Ausgerechnet du! Ich habe es doch aufgeschrieben!
Ich stehe in Kontakt zu ihnen - sie kennen jeden Schritt, den ich mache!
Sie lesen meine Gedanken, sehen durch meine Augen, hören durch meine
Ohren!"
Jetzt wurde mir die Sache doch ein bißchen unheimlich. Eigentlich
gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder war Terry nichts weiter als
ein total zugekiffter Irrer, oder...
"Komm!" flüsterte ich. "Und denke an etwas anderes.
Sage Gedichte auf oder sowas!"
Sein dankbarer Blick traf mich bis ins Herz.
Wir rannten nach draußen. Ich hörte Terry Reime murmeln.
"Getrennt haben wir bessere Chancen", stieß er hervor,
als wir die Straße erreichten. "Wahrscheinlich können
sie dich gar nicht wahrnehmen, wenn ich dich nicht sehe."
Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, Terry in diesem Zustand allein zu
lassen. Aber ehe ich dagegen protestieren konnte, rannte er durch den
Regen davon. Und dann zögerte ich zu lange. Als ich ihm folgte, war
er bereits um die Ecke gelaufen. Von dort aus ging es direkt in den Wald.
Weiter hinten gab es einen Weg ins Tal, und von da anwar das Gelände
völlig unübersichtlich, ein Gewirr von kleinen Wäldchen,
Ödland, Fischteichen, Feldern und einzelnen Gehöften. Ich konnte
Terry nicht finden und kehrte schließlich niedergeschlagen um.
Ich wußte immer noch nicht, was ich von der ganzen Angelegenheit
halten sollte. Vorhin, als Terry zu sich kam und ich immer noch diesen
kohlschwarzen Fleck auf dem Beton vor meinem inneren Auge sah, hatte alles
ganz vernünftig geklungen. Jetzt stand ich im Regen, war naß
bis auf die Haut, und der Gedanke an die hypothetischen Fremden, die Terry
mit Blitzen zu töten versuchten, kam mir denn doch reichlich phantastisch
vor.
Ich ging den Weg zurück. Als ich an einen Pfad kam, der zwischen
den Gärten und zwei tiefer gelegenen Weiden ins Dorf führte,
bog ich ab. Es war eine ganz und gar spontane Entscheidung. Ich war so
durchnäßt, daß es sowieso nicht mehr schlimmer werden
konnte, und mir war eingefallen, daß ich nichts im Haus hatte, woraus
sich ein steifer Grog brauen ließ. Den hatte ich nämlich dringend
nötig.
Ich war kaum zehn Meter weit gekommen, da gab es hinter mir einen scharfen
Knall. Gleißende Helligkeit hüllte mich ein. Meine Haare richteten
sich knisternd auf, obwohl sie klatschnaß waren.
Ich war wie gelähmt. Ich könnte beim besten Willen nicht sagen,
wie es mir trotzdem gelang, mich umzudrehen. Wie hypnotisiert beobachtete
ich, wie mindestens ein Dutzend Blitze die Straße entlangknallten
und schließlich mein Haus erreichten.
Es war ein sehr kleines Haus, denn zu mehr hatten meine Ersparnisse nicht
gereicht. Aber es besaß eine Blitzschutzanlage. Später stellte
ich fest, daß sämtliche Sicherungen durchgebrannt waren. Eine
Fensterscheibe wies einen langen, diagonalen Riß auf, und einige
Gläser waren zerbrochen. Im Augenblick allerdings verspürte
ich nicht die geringste Lust, nachzusehen, wie groß der Schaden
war. Mit Mühe schüttelte ich die Lähmung ab und rannte
den steinigen Weg hinunter.
Vielleicht war es wirklich nur ein Zufall. Vielleicht bildete ich mir
das Ganze nur ein. Aber es blieb eine unheimliche Ahnung zurück.
Wenn Terry recht hatte, dann waren die Blitze ein Werk der Fremden. Sie
hatten gewußt, welchen Weg ich nehmen mußte, und sie hatten
diesen Weg mit Blitzen zugepflastert. Sie hatten nicht wissen können,
daß ich einen Umweg machen würde. Zwischen mir und den Fremden
gab es keine telepathische Verbindung - sobald Terry mich nicht mehr sah,
konnten sie mich nicht mehr wahrnehmen. Wahrscheinlich waren sie auch
nicht in der Lage, mich - einen so winzigen Punkt auf der riesigen Erde
- optisch zu überwachen, noch dazu durch diese dichte Wolkendecke
hindurch.
Aber was wurde aus Terry?
Ich konnte ihm nicht helfen. Ich wußte ja nicht einmal, wo er steckte.
Diese Erkenntnis war einigermaßen niederschmetternd.
Er kam an diesem Abend nicht nach Hause. Ich sprach mit Herrn Krobb, erwähnte
allerdings nichts von Terrys Außerirdischen - der gute Mann hätte
uns sonst alle beide glatt für verrückt erklärt.
Die ganze Nacht hindurch blieb ich wach. Terrys Fenster waren dunkel.
Es regnete ununterbrochen. Nichts rührte sich draußen, nicht
einmal eine Katze strich an den Zäunen entlang.
Als der Morgen graute, hörte ich das Rumpeln eines einzelnen Donnerschlags.
Ich zitterte am ganzen Leibe. Vom Dorf her kam Minuten später das
Heulen der Feuersirene. Ich rannte ins Wohnzimmer und sah die zuckenden
blauen Lichter auf der Straße tief unter mir. Im Tal war ein Lichtfleck
ganz anderer Art aufgetaucht. Er zuckte und flackerte in gelben, weißen
und roten Tönen und wurde manchmal von Regen und Rauchschwaden fast
verschluckt.
Die offizielle Version lautete später, daß Terry in der Dunkelheit
und dem Regen den Heimweg nicht gefunden und sich deshalb kurzerhand in
einer einzeln stehenden Scheune verkrochen hatte. Obwohl die Bauern in
der Umgebung den Blitz gesehen und den Donner gehört hatten, schloß
man aus dem Vorhandensein eines Feuerzeugs, daß Terry im Heu geraucht
hatte. Logische Schlußfolgerung: Das Heu hatte Feuer gefangen, Terry
war in der Scheune verbrannt.
Nun war Terry zwar manchmal etwas weltfremd, aber er war kein Idiot. Und
außerdem war er Nichtraucher. Es war nicht das Feuerzeug, das die
Scheune in Brand gesetzt hatte - es war der Blitz.
Ein halbes Jahr später kam ein Brief für Terry. Der Absender
war ein Verlag. Darum gab Herr Krobb mir das Schreiben. Man bedauerte
sehr, daß - offenbar infolge eines Versehens - Terrys Manuskript
spurlos verschwunden war. Ob er wohl noch einen Durchschlag hätte?
Ich schrieb eine kurze Antwort, in der ich erklärte, warum Terry
auf das Angebot nicht eingehen konnte und daß auch der Durchschlag
nicht mehr existierte.
In einer astronomischen Zeitschrift fand ich die Meldung, daß damals,
im Mai, für einige Stunden ein "UFO" die Erde umkreist
hatte. Ein Satellit war es nicht - jedenfalls keiner, der irgendwo verzeichnet
war. Das Ding verschwand ganz plötzlich. Möglicherweise - so
vermutete man - war es irgendein geheimes Versuchsobjekt, das sich nicht
in der Umlaufbahn hatte halten können.
Ich glaube nicht an diese Theorie. Terry hatte nämlich eine technische
Störung an Bord des fremden Raumschiffs beschrieben, die es gerade
für diese Zeitspanne seines Ortungsschutzes beraubt hatte. Er hatte
allerdings auch erwähnt, daß die Fremden sich noch nicht darüber
schlüssig waren, was sie mit unserer guten alten Erde anfangen sollten.
Für ihre Begriffe ist unsere Heimatwelt ein ausgesprochen popeliger
Planet, dessen Rohstoffe so kümmerlich sind, daß sich die Ausbeutung
kaum lohnt, und auch wir Menschen sind im Vergleich zu ihnen derart schwächliche
Geschöpfe, daß sie wenig Verwendung für uns haben dürften.
Vielleicht umkreisen sie unseren Planeten immer noch, sorgfältig
getarnt, unsichtbar selbst für die raffiniertesten Ortungsgeräte.
Hoffentlich kommen sie irgendwann zu dem Schluß, daß unsere
arme alte Erde den Aufwand nicht lohnt. Aber vorsichtshalber habe ich
mir einen neuen Blitzableiter angeschafft.
Man kann ja nie wissen...
(©)
1973/2005
Marianne Sydow
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