Marianne Sydow

Biografie

Geboren am 24.7.1944, seit 7.00 Uhr morgens am 19.12.1990 Nicht-Raucherin (nachdem ich mich fast zu Tode geraucht hätte - ich bin eine Nicoholikerin), Nicht - Trinkerin (auch nicht ganz freiwillig - ich habe eine Alkohol-Allergie), keiner Religion zuzuordnen, allem abgeneigt, was den Verstand vernebelt.
 
Der Bücherschrank war meine erste große Liebe: wenn meine Mutter mal für eine Weile ihre Ruhe haben wollte, machte sie die Schranktür auf, legte ein Kissen davor und setzte mich darauf (auf das Kissen, nicht auf den Schrank). Ich nahm ein Buch nach dem anderen heraus und blätterte es andächtig durch. Es mußten nicht mal Bilder drin sein. Es kam kein Spuckefleck drauf und kein Eselsohr rein. Ich war ungefähr ein Jahr alt, als das anfing, und mit fünf konnte ich lesen - sogar in Fraktur.

Ungefähr um dieselbe Zeit fabrizierte ich mein erstes eigenes „Buch“ - ein paar Bilder mit einem kleinen Text dazu. Ich war unbändig stolz darauf. Mit sechs las ich Karl May und fand ihn sehr spannend, und als ich elf war, geriet ich an meine ersten „Zukunftsromane“. Ich war tief beeindruckt. Fortan wurde meine Phantasie von Außerirdischen, Zeitmaschinen, Raumschiffen, fremdartigen Planeten und ähnlichen Dingen förmlich überschwemmt, und ich war nur noch operativ von dem Buch zu trennen, das ich gerade las.

Aber Bücher nur zu lesen, war mir von Anfang an zu wenig. Immerzu war ich am Schreiben und am Zeichnen. Mit dreizehn begann ich ganz ernsthaft einen Roman und verkündete meiner Mutter, ich würde Schriftstellerin werden. Meine Mutter nahm dies zum Anlaß, fortan um meinen Geisteszustand zu fürchten - ganz im Ernst, ohne Witz: sie ließ mich von einer Nervenärztin untersuchen. Aber die war glücklicherweise ein vernünftiger Mensch: Sie riet mir, meinen eigenen Weg zu gehen und wusch meiner Mutter gehörig den Kopf.


Mit siebzehn schrieb ich einen SF-Roman mit dem wenig geschickten Titel „Kristall“, eine furchtbare Geschichte, die ich aber voller Stolz an einen Verlag schickte. Es dauerte lange, bis ich eine Antwort kriegte - Verlage lassen sich gerne sehr viel Zeit. Ich schrieb inzwischen munter weiter. Und dann kam das verdammte Manuskript zurück, mit einer detaillierten Beurteilung, die selbst einen Regenwurm deprimiert hätte.

Aber das Feuer brannte bereits. Aufgeben war noch nie mein Ding. Auch wenn es wehtat: ich las mir die Beurteilung immer wieder durch, und nach einer ganzen Weile fiel mir auf, daß dort eines nicht stand: Daß ich nicht schreiben könne. Es ging ausschließlich um sachliche Kritik. Ich stellte sogar fest, daß diese Kritik berechtigt war.

Ich glaube, damit hatte ich einen der wichtigsten Schritte meines Lebens getan. Von diesem Augenblick an habe ich mich kontinuierlich verbessert. Natürlich habe ich auch später noch Absagen bekommen, aber ich hatte gelernt, damit umzugehen - mit 17, im ersten Anlauf, ganz allein und ohne jeden moralischen Beistand. Ich denke, ich bin wohl doch ganz schön hart im Nehmen.

In Anbetracht der seltsamen Reaktionen, die ich von meiner Familie her kannte, sagte ich keinem ein Wort. Ich schrieb weiter. Und mit 22 knöpfte ich mir meinen Erstling noch mal vor, schrieb ihn komplett um, schickte ihn an die Konkurrenz, und die haben das Ding doch tatsächlich gekauft! Soweit, so gut. Ich sagte meiner Familie immer noch nichts. Auch dann nicht, als ich den ersten Scheck meines Lebens kriegte, 700.- DM  -  um mit dem Schreiben von Heftromanen reich zu werden, muß man leichtfertiger damit umgehen, als ich das kann.

Dann kam dieser dicke Umschlag, Absender Pabel-Verlag. Als meine Mutter mir den gab (sie nahm all meine Post in Empfang, gesonderte Briefkästen gab es bei uns nicht), platzte sie fast vor Neugierde. Aber ich sagte immer noch nichts, zog mich zurück und packte meine Belegexemplare aus.

Das erste Gefühl war reine Euphorie. Zum erstenmal hielt ich etwas von mir Geschriebenes in gedruckter Form in der Hand. Irre! Dann schlug ich das Heft auf und begann zu lesen - erwartungsvoll. Aber was da stand, war mir ziemlich fremd. Ein (mir bis heute unbekannter) Lektor hatte das gute Stück völlig umgeschrieben! Okay, es war ein übles Machwerk. Aber es war mein übles Machwerk! Außerdem war der Roman jetzt zwar anders, aber nicht besser. Trotz allem - oder gerade deshalb - habe ich durch meinen Erstling viel gelernt (auch über Lektoren).


Nach dem zweiten Roman (beide unter dem Pseudonym Garry McDunn) fühlte ich mich schon ganz als Autorin (warum auch nicht - es gibt eine Menge Leute, die in ihrem ganzen Leben nicht mehr geschrieben haben und trotzdem angeben wie eine Lore Affen). Ich hatte meine Freizeit bis dahin zum größten Teil mit der Schreiberei zugebracht. Jetzt kaufte ich mir Kontaktlinsen (was damals noch etwas sehr Besonderes war) und zum Entsetzen meiner Eltern auch noch ein paar Mini-Röcke, begab mich in eine Diskothek und schaffte mir einen Freund an. Was zur Folge hatte, daß ich für eine ganze Weile überhaupt nicht mehr zum Schreiben kam.

1971, nach einem Abstecher in die Landvermesserei, fand ich mich plötzlich arbeitslos in einem winzigen Dorf - praktisch ohne Verkehrsanbindung - bei Augsburg wieder. Ich fing wieder an, zu schreiben (meine Damals-noch-nicht-Schwiegermutter fragte mich: „Und wie willst du dich dann nennen? Schriftstellerin?“ Naja, warum nicht...). Übrigens: Das Dorf hieß Anhausen, und gegenüber wohnte ein Junge, der immer auf seinem Fahrrad mit einer seltsamen großen Tasche wegfuhr - auch so einer, der seinen eigenen Weg ging.


1972 bekam ich meinen Sohn Ralph (geraume Zeit Musiker unter dem Künstlernamen Ralph e.aXolotL), und damit kriegte auch die ganze Schreiberei einen anderen Sinn. Denn kaum verheiratet (von daher mein neuer Familienname „Sydow“), war ich auch schon wieder geschieden, und von da an ging es beim Schreiben mehr denn je ums Geld.

Ich schrieb damals für den Zauberkreis-Verlag - eine Zeitlang stammte dort jeder 2. Roman von diesem komischen Garry McDunn, und noch immer wußte niemand, wer sich dahinter versteckte. Mein Atlan- und Perry Rhodan-Kollege Horst Hoffmann erzählte mir später, er selbst hätte sich damals heftig bemüht, ebenfalls bei Zauberkreis reinzukommen, es aber nicht geschafft, weil die mit meinen Manuskripten förmlich zugestapelt waren. Also fragte er Ronald M. Hahn (berühmter Kenner der deutschen SF-Szene, Autor, Herausgeber, Übersetzer, literarischer Agent und vieles mehr), wer dieser verdammte Garry McDunn denn bloß sei. Woraufhin Ronald M. Hahn laut Horst Hoffmann erwiderte: „Ach, das ist irgend so ein Schweizer!“

Ich schrieb jeweils ungefähr einen Roman pro Monat. Die Zauberkreis-Romane erschienen aber nur einmal im Monat, und mehr als jedes 2. Heft war für mich nicht drin. Frau Sauer, die Macherin, meinte, es sei vielleicht ein Fehler und sie würde nicht gerne eine gute Autorin verlieren, aber da ich dringend das Geld brauchte, sollte ich es doch mal beim Moewig-Verlag versuchen. Dort erschienen damals mehrere Serien und Reihen, alle wöchentlich. Also probierte ich es.

Ich hatte mittlerweile eine ganze Menge Manuskripte rumzuliegen. Von denen schickte ich pünktlich alle vier Wochen eins an den Moewig-Verlag. Ich sagte mir, wenn der Lektor so einen kontinuierlich wachsenden Stapel vor sich hätte, würde dem guten Mann irgendwann gar nichts anderes übrigbleiben, als endlich doch mal in eines meiner Werke reinzuschauen.

Unglücklicherweise dauerte es trotz allem ziemlich lange, bis das der Fall war. Inzwischen hatte ich denen wirklich den letzten Schrott geschickt, einfach nur, um mein Zeitlimit einzuhalten. Um es vorwegzunehmen: ich schwankte zwischen Entsetzen und wieherndem Gelächter, als die Typen doch tatsächlich diesen ganzen Berg von übelstem Schund kauften! Für einige dieser Romane schäme ich mich heute noch. Aber damals guckte ich mir meinen Sohn an, und der hatte Hunger und Löcher in den Hosen, und da hab ich mir gesagt „Was soll´s“ - ich habe unterschrieben und kassiert. Viel war es sowieso nicht. Aber wir hatten zu essen.

Wirklich peinlich war mir allerdings, daß diese Romane nicht unter Pseudonym erschienen (den „Garry McDunn“ behielt sowieso der Zauberkreis-Verlag), sondern unter meinem echten Namen: Marianne Sydow. Anfangs war ich wirklich froh darüber, daß es in meiner direkten Nachbarschaft so wenig SF-Leser gab. Ein bißchen später sah alles ganz anders aus. Da hatte ich mir bereits einen guten Namen geschaffen, und das ergab manchmal auch ganz erfreuliche Momente.

Wie auch immer: das anonyme Pseudonym ging nicht mehr - aus einem ganz einfachen Grund. Die UNO hatte das Internationale Jahr der Frau ausgerufen, und beim Moewig-Verlag war man der Meinung, daß das doch ein hübscher Gag sei - eine Frau im Autorenteam, im Jahr der Frau - ist das nichts? Das Ganze konnte allerdings nur dann funktionieren, wenn ich bereit war, unter einem weiblichen Namen zu agieren. Nun, mein Sohn hatte immer noch Hunger, also sagte ich ja.

Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich übrigens zum erstenmal, daß es damals außer mir zu dieser Zeit tatsächlich keine anderen professionellen deutschsprachigen SF-Autorinnen gab. Das erstaunte mich sehr. Aber die Erkenntnis, daß man mich nicht in erster Linie wegen meines Könnens mit einem Vertrag bedacht hatte, sondern wegen eines Gags, stimmte mich auch ein bißchen nachdenklich. Noch nachdenklicher machte mich die Tatsache, daß der Lektor Günther M. Schelwokat sich nicht scheute, mir das am Telefon knallhart überzubügeln, samt dem Zusatz, daß ich mich besser nicht auf eine dauerhafte Mitarbeit einstellen sollte, denn so ein Jahr ginge nun mal schnell vorbei - der Mann hatte es echt drauf!

Wie auch immer: Um die Sache richtig auszunutzen, bot man mir sogar
die Mitarbeit an der damals erfolgreich laufenden „ATLAN“-Serie an. Und ich griff zu.

ATLAN war sozusagen Kreisklasse - Perry Rhodan war die Bundesliga. Dort gab es auch ein bißchen mehr Knete. Aber nachdem ich den Lektor Günther M. Schelwokat kennengelernt hatte, war mir klar, daß ich es dorthin nicht so leicht schaffen würde. Eines Tages bot sich mir trotzdem eine Chance.

Es begann damit, daß irgendein Typ einen Leserbrief schrieb (ich hab ihn noch irgendwo), in dem er sich über die (angeblich oder tatsächlich) stereotype Darstellungsweise weiblicher Figuren innerhalb der Perry Rhodan-Serie beschwerte. Kurt H. Bernhardt, der damalige Chef-Redakteur, schickte mir eine Kopie dieses Briefes mit der Aufforderung, mich dazu zu äußern und einen Vorschlag für eine weibliche Hauptfigur in spe auszuarbeiten. Geschickterweise verband er das Ganze mit einem (für meine damaligen Begriffe) recht guten Honorar. Dem konnte ich nicht widerstehen. Also setzte ich mich hin und schrieb etwas - einmal zu Frauen in der Serie allgemein, und dann etwas über eine weibliche Figur im Besonderen.

Der Gag daran war für mich, daß ich zu meinen Garry McDunn Zeiten selbst niemals weibliche Hauptfiguren verwendet hatte. Warum? Keine Ahnung - es war eben so. Frauen waren damals in der SF einfach nicht in. Man brauchte sie als Dekoration und zum Fabrizieren spitzer Schreie. Sie durften sich aus größten Gefahren retten lassen oder mit ihren „typisch weiblichen“ Marotten Gefahrensituationen überhaupt erst heraufbeschwören, damit die großen Helden bei deren Beseitigung glänzen konnten. Außerdem waren sie sehr nützlich als Dialogpartner für den genialen Konstrukteur, wenn er dem hübschen blonden Mädchen den Überlichtantrieb erklärte. Das ist ein ganz einfacher dramaturgischer Trick. Um diese schwierige Materie der technisch völlig unbefleckten jungen Dame nahezubringen, muß sich der geniale Konstrukteur einfachster Begriffe und Gleichnisse bedienen - und der Autor kann auf diese Weise wunderbar die Tatsache verschleiern, daß er selbst natürlich auch keinen blassen Dunst davon hat, wie das verdammte Ding funktioniert. (Wie sollte er auch - wenn er einen wahrhaft funktionierenden Überlichtantrieb beschreiben könnte, bräuchte er sich nicht mehr mit irgendwelchen Romanen abzumühen, sondern säße auf seiner privaten Südseeinsel von der Größe Floridas und zählte seine Moneten.)

Als Willi Voltz mir die Sache mit dem Jahr der Frau und meinem Pseudonym erklärte (Kurt H. Bernhardt delegierte solche Sachen gerne an andere), unterbreitete er mir den Vorschlag, den Vornamen „Jennifer“ zu benutzen, weil er den besonders schön fand. Als ich nun daran ging, diese weibliche Figur auszuarbeiten, ahnte ich bereits, daß meine Mitautoren von Bernhardts Initiative in Sachen Weiblichkeit nicht unbedingt begeistert sein würden. Meine erste PR-Figur würde alle Unterstützung brauchen, die sie irgendwie kriegen konnte. Und so nannte ich sie „Jennifer“ - Jennifer Thyron.

Ich hatte die Vorstellung, daß man sie langsam, über mehrere Romane hinweg, aufbauen sollte (wobei ich keineswegs damit rechnete, daß man mir auch nur einen dieser Romane übertragen würde, denn bei der anschließenden Konferenz, zu der ich eingeladen wurde, merkte ich sehr schnell, daß ich mit meinen Befürchtungen richtig lag: Frauen waren in der Serie tatsächlich ein heikles Thema - in jeder Beziehung). Auf keinen Fall sollte sie a) gleich zu Anfang mit einem der großen Unsterblichen liiert werden (alle Frauen dieser Art gediehen in Null komma nix zu bloßen Accessoires der hohen Herren) und/oder b) einen Zellaktivator (und damit die relative Unsterblichkeit) verliehen bekommen. Zu meiner großen Überraschung bekam ich tatsächlich ein Exposé zugeteilt. Hauptfigur: Jennifer Thyron. Liiert mit dem Zellaktivatorträger Ronald Tekener und am Ende des Romans selbst mit einem Aktivator behängt...

Die noch größere Überraschung kam hinterher: Lektor Günther M. Schelwokat rief mich an und teilte mir kurz und knackig mit, mein Roman sei reiner Schund und ich würde keine weiteren Rhodan-Romane mehr schreiben. Das vermieste mir meinen Rhodan-Erstling ganz gewaltig. Allerdings meldete sich so ungefähr ein Jahr später Willi Voltz mit der Nachricht, daß der Roman es bei den Lesern auf Platz 2 in der Hitparade für die Bände 700 - 799 geschafft hatte. Das relativierte das Urteil des Lektors ein wenig. Es muß aber hinter den Kulissen noch heftig gebrodelt haben, denn bis ich mein zweites Exposé zugeteilt bekam, ging noch eine Menge Zeit ins Land. Tatsache ist und bleibt aber, daß ich meine Rhodan-Karriere fast ausschließlich meinen Lesern zu verdanken habe.

Einer der Autoren, die anfangs absolut gar nichts von meinem Einstieg hielten, war K.H. Scheer. Aber nach ein paar Jahren, als wir zu zweit im Lift standen, wandte er sich plötzlich zu mir um und meinte, er müsse sich bei mir entschuldigen. Er sei der Meinung gewesen, eine Frau an Bord sei bei Rhodan absolut untragbar, aber da habe er sich geirrt. Ich sei gut, und ich solle so weitermachen. Der Mann hatte Charakter! Andere, die im Untergund weiterwühlten, haben nie den Mut aufgebracht, mir ihre Meinung kundzutun. Genau das war der Grund dafür, daß ich es irgendwann leid war, bei jeder entsprechenden Gelegenheit einen Beitrag darüber abliefern zu müssen, daß meine Rolle als einzige Frau im Team mit keinerlei Schwierigkeiten verbunden sei. Ich bin ein ziemlich gerader Mensch, und diese Heuchelei ging mir gewaltig auf den Keks! Mein schlimmster Gegner war und blieb Günther M. Schelwokat (der im übrigen nicht nur mir das Leben schwergemacht hat - der Mann war ein echtes Stinktier. Am Ende hat er erreicht, was er wollte.

Bis Ende 1991 schrieb ich kontinuierlich für die SF-Heftserien „ATLAN“ (ab 1974, Band 178) und „PERRY RHODAN“ (ab 1976, Band 795), wobei ich für die Atlan-Serie in drei Phasen auch die Exposés verfaßte: Band 448 - 499, Band 510 - 532 und (teilweise, das heißt im Wechsel mit Peter Griese, was absolut überhaupt nicht funktionierte) von 699 - 760.

Es gab die ganze Zeit hindurch Differenzen, hauptsächlich mit Günther M. Schelwokat. Ab 1991 verschlechterte sich die ganze Situation rasant. Schließlich wurde die Lage für mich so unhaltbar, daß ich Anfang 1992 meinen Ausstieg aus der Rhodan-Serie erklärte. Das tat mir sehr weh. Noch schmerzhafter war das, was dann folgte: Böse Briefe von mehreren Kollegen an die „Nestbeschmutzerin“ und einige Fälle von versuchtem Rufmord. Wolfgang Kehl = Arndt Ellmer (noch immer residierender Leserbrief-Onkel bei Perry Rhodan) verstieg sich in einem „Leserbrief“ an die damals noch existierende SF-Times (neben anderen Seltsamkeiten) sogar zu der Behauptung, ich sei schuld am Tod von Günther M. Schelwokat - der Mann ist an Lungenkrebs gestorben, und das hatte mit mir absolut nichts zu tun, sondern wohl eher mit den vielen Zigarren, mit denen er die Luft verpestete - nicht nur in seinen Lungen.


Immer wieder wurde ich von Lesern gefragt, ob ich nicht vielleicht doch noch mal für die Rhodan-Serie schreiben würde. Abgesehen davon, daß das nicht in meiner Entscheidung lag: Es hätte durchaus Themen gegeben, mit denen ich mich gerne noch einmal beschäftigt hätte. Beim Garching-Con 2005 hatte die überwältigend freundliche Aufnahme durch die Leser mich schon fast weichgekocht. Aber zwischen mir und der Redaktion hat´s einfach nicht gefunkt. Ende August 2007 kam es in einem Forum auf der PR-Homepage zu einer Diskussion zu diesem Thema. Die Richtung, in die sich das Ganze entwickelte, verhalf mir zu der Einsicht, daß es an der Zeit war, das Thema PR-Mitarbeit endlich öffentlich und endgültig zu den Akten zu legen.

1977 lud mich das Österreichische Fernsehen kurz vor Weihnachten zu einer Talk-Show ein, an der mit Alfred Vejchar auch ein Mitglied des Science Fiction Clubs Deutschland teilnahm. Er gab mir als SFCD-Kontaktmöglichkeit die Telefon-Nummer von einem gewissen Heinz-Jürgen Ehrig in Berlin. Den rief ich an, wir telefonierten eineinhalb Stunden miteinander, und 1980 heirateten wir.

Ich arbeite seit 1982(!) an einem Roman („Ogawas Perlen“), der nichts - aber auch wirklich gar nichts - mit dem ganzen Perry Rhodan-Universum zu tun hat. Anfangs war das nur so eine Art Spielwiese, auf der ich mich austoben konnte, wenn mir die Serienarbeit mal wieder zum Hals raushing. Diese Austoberei sah so aus, daß ich immer wieder neue Geschichten erfand, die in der Stadt Elcit spielten. Dadurch wurde der Hintergrund - die „Welt“, in die die eigentliche Geschichte eingebettet ist - zu einem ungeheuer komplexen Geflecht vieler Handlungsfäden, das sich in dieser Form niemals als Roman realisieren ließe. Aber allmählich kommt Ordnung in das Chaos - in jeder Beziehung.


25 Jahre lang lebten mein Mann und ich in einem recht klein geratenen Haus in Berlin-Waidmannslust. Das ist auf den ersten Blick eine idyllische Gegend: alle Häuser mit Gärten drum rum, das Naturschutzgebiet Fließtal gleich nebenan. Aber viele Leute dort sind irgendwie merkwürdig, sehr konservativ, um nicht zu sagen „tiefgefroren“. Zugezogene Nicht-Katholiken haben es dort besonders schwer, und solche seltsamen Leute wie ich, die keiner erkennbar geregelten Arbeit nachgehen und mitunter bis zum Mittag schlafen (nachdem sie vorher wegen irgendwelcher Termine die Nacht hindurch gearbeitet haben), sind dort einfach nicht gut gelitten.

Mein Mann merkte davon erstmal nicht viel - bis er 1996 einen Herzinfarkt hatte und pensioniert wurde. Drei Jahre lang schleppte sich die ganze Sache noch so hin, dann reichte es auch ihm. Wir fanden ein ehemaliges Gasthaus im schönen Fläming und überließen es unseren übellaunigen Nachbarn, wen sie nach unserem Umzug terrorisieren würden. Wir schufen uns unsere Villa Galactica.

Als mein Mann am 17.10.03 völlig überraschend starb, fand ich mich zum zweitenmal in meinem Leben plötzlich in einem kleinen Dorf ohne Verkehrsanbindung wieder, noch dazu in einem riesengroßen Haus mit riesengroßem Grundstück und der zur Zeit größten Privatsammlung von Utopie und Phantastik in Europa.


Mein Mann pflegte immer zu sagen, ein Sammler habe nie Geld - wenn er welches habe, würde er es sofort für seine Sammlung ausgeben. Dieses Prinzip hat er bis zur letzten Konsequenz gelebt - wie konsequent, merkte ich erst nach seinem Tode. Ich war vertrauensselig genug gewesen, mich von Anfang an auf ein gemeinsames Konto einzulassen, und im Handumdrehen hatte er den gesamten finanziellen Bereich in seine private Domäne verwandelt, in der ich nichts zu suchen hatte.

Eine Woche vor seinem Tode wurde der allerletzte kleine Kredit, den er noch rausleiern konnte, auf sein Konto überwiesen: 2500 Euro für den Erwerb der restlichen noch fehlenden Billy-Regale für die B
ibliothek. Ansonsten war das Konto am untersten Limit. Es gab keine Rücklagen, keine Reserven - nichts. Und das Schlimmste: Die Raten für die Abzahlung der ganzen Kredite waren natürlich nach unserem gemeinsamen Einkommen berechnet, und das zu einer Zeit, in der ich relativ viele Nachdruck-Honorare bekam. So etwas schwankt aber natürlich. Schon 2004 wären wir auch dann in die Klemme gekommen, wenn er am Leben geblieben wäre. Seither kämpfe ich ums finanzielle Überleben - um meines und auch um das der Sammlung.

Ich schluckte meine Trauer runter, krempelte die Ärmel hoch und machte mich an die Arbeit: Ich versuche, mir eine neue Existenz aufzubauen. Aber wie das in der derzeitigen Wirtschafts-Lage läuft, brauche ich wohl niemandem zu erklären.


Inzwischen ist die große Bibliothek mit der erzählenden Literatur fertig sortiert, und seit dem 8.6.2004 um 13.30 gehöre ich zum motorisierten Teil der Menschheit - ich habe meinen Führerschein gemacht (mit 59 Jahren und im ersten Anlauf, jawoll!). Das war beileibe kein Luxus. Buckau ist ein wunderschöner Ort, aber es gibt hier keinen einzigen Laden, und von öffentlichem Nahverkehr können wir nur träumen. Ohne Auto geht hier gar nichts.

Am Haus und am Grundstück ist noch viel zu tun, eine Menge Probleme türmen sich immer wieder vor mir auf, aber mein Wahlspruch lautet schon seit eh und je „Bangemachen gilt nicht“.
Inzwischen sind die Doublettenlisten im Netz, die Villa Galactica nimmt allmählich Form an. Das Leben geht weiter.

Schon seit langem bin ich von der Chaos-Theorie fasziniert, natürlich auch von der fraktalen Geometrie. Als ich Ende 2001 endlich meinen kleinen Atari gegen einen PC tauschen konnte, zeigte mein Sohn mir meinen ersten Fraktal-Explorer. Ich fühlte mich wie ein Fisch, der endlich zu Wasser gelassen wird, ja, tatsächlich, wie ein Fisch, der sein ganzes bisheriges Leben auf dem sprichwörtlichen Fahrrad verbracht hat und nie verstehen konnte, wozu er diese dämlichen Flossen hat.

Es war einfach irre. Ich habe durch dieses kleine Programm unendlich viel dazugelernt. Ich war selig. Monatelang kam ich kaum zum Schlafen. Es war wie ein Rausch. Und natürlich sind auch eine Menge Bilder dabei herausgekommen. Das Konzept Fremde Welten - Fremde Wunder entstand und entwickelt sich noch immer, denn da es ein fraktales Konzept ist, wird es immer weiter wachsen.

Im Sommer 2004 sparte ich mir eine Digicam zusammen, eine mit Supermakro-Funktion und 6.3 Millionen Pixeln.

Früher hatte ich eine Contaflex prima, das war eine einäugige Spiegelreflex mit einem wundervollen 45 mm Objektiv. Die mußte ich Anfang der 70ger verkaufen, weil kein Geld im Haus war, und danach hat´s nie wieder für eine vernünftige Kamera gereicht. Mein Mann sagte immer, wir hätten doch eine - seine, auch eine einäugige Spiegelreflex. Aber bei der ist die optische Achse verbogen - sie zielt immer ungefähr 15° tiefer, als sie soll - und der Aulöser klemmt vorzugsweise dann, wenn´s drauf ankommt. Seit 1996 habe ich viel mit Video 8 gemacht. Aber diese Digicam - das ist der helle Wahnsinn. Fisch, Fahrrad - und wieder weiß ich, wozu ich meine Flossen habe. Bilder, Bilder und nochmals Bilder!


Nach dem Tod meines Mannes habe ich fast all meine Zeit in die Sammlung gesteckt, alles sortiert, eine Bestandsliste aufgebaut. Ab Juni 2007 habe ich mich dann darangemacht, diese Liste zu einem Bestandskatalog auszubauen. Den gebe ich in Form von Heften heraus, mit je 64 Seiten Umfang und einer beigelegten CD, auf der alle im jeweiligen Heft beschriebenen Objekte mit mindestens einer Abbildung vertreten sind - meistens sind es mehrere Bilder: Cover, Buchrücken, Schutzumschläge, informative Rückseiten.

Marianne Sydow am 30.8.2007


Nachtrag von Ralph von Sydow:
Am 02.05.2013 verstarb meine Mutter nach kurzer, schwerer  Krankheit im Hospiz zu Kloster Lehnin.
Viele Ihrer großen Projekte blieben leider unvollendet.
Die Arbeit am Bestandskatalog werde ich mit meiner Frau fertig stellen.
Und auch bei Ihrem Online Roman „Ogawas Perlen“ existiert noch Material, daß ich hoffentlich eines Tages in eine Form bringen kann, die dem, was meine Mutter wollte, gerecht werden kann. Bis dahin findet sich ihr Roman, in seiner ursprünglichen Form erhaltenen, so, wie sie ihn hinterlassen hat, in ihrem Webbereich.
Die Villa Galactica wird mit all ihren bisherigen und neuen Projekten weiterbestehen.

Ralph von Sydow am 25.12.2013